OLG Saarbrücken, Beschluss vom 23.5.2019 – 5 W 25/19
Zentrale Normen: §§ 19, 22, 29, 35 GBO
(Grundbuchberichtigung aufgrund eines Vindikationslegats)
Amtliche Leitsätze:
1. Nach Inkrafttreten der Verordnung (EU) Nr. 650/2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses (EuErbVO) in ihrer Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof (v. 12.10.2017 – C-218/16, ZEV 2018, 41) ist das Grundbuchamt nicht mehr berechtigt, einem nachgewiesenen Vindikationslegat nach französischem Recht seine dingliche Wirkung abzusprechen.
2. Ein vom Legatar vorgelegtes Europäisches Nachlasszeugnis stellt grundsätzlich einen ausreichenden Unrichtigkeitsnachweis iSd § 22 GBO dar, mit dem die Rechtsstellung belegt werden kann. Wie auch sonst bei nationalen Erbscheinen steht dem Grundbuchamt aber ein Prüfungsrecht zu, soweit Zweifel dies gebieten.
Aus den Gründen:
II. Die Beschwerde ist zulässig und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses.
1. Vindikationslegaten, gesetzlichen Nießbrauchsrechten und dinglichen Teilungsanordnungen, die durch ein Europäisches Nachlasszeugnis (ENZ) nachgewiesen werden können, kamen im deutschen Grundbuchverfahren keine Wirkungen zu. Allein unter Vorlage des ENZ konnte der Legatar keine Grundbuchberichtigung herbeiführen, eine Unrichtigkeit lag nicht vor. Verantwortlich hierfür zeichneten der 18. Erwägungsgrund der EuErbVO und Art. 1 Abs. 2 Buchst. k, Buchst. l EuErbVO. Die bislang hM ging davon aus, dass Art und Eintragung der dinglichen Rechte vom Anwendungsbereich der EuErbVO ausgenommen sind. Deutsches Sachenrecht sollte gelten, ebenso die lex rei sitae. Die bislang hM bejahte keine Grundbuchunrichtigkeit und ging davon aus, dass dem Grundbuchamt der Erfüllungsakt vorzulegen sei, bei Vindikationslegaten an Immobilien demnach die Auflassung vor einem deutschen Notar (Wilsch in BeckOK GBO, § 35 Rn. 40). Dieser Ansicht ist das Grundbuchamt mit seiner Entscheidung vom 6.3.2019 gefolgt.
Durch die Entscheidung des EuGH vom 12.10.2017 – C-218/16 (ZEV 2018, 41 – Kubicka; s. auch Weber DNotZ 2018, 16; Dorth ZEV 2018, 11; Wilsch ZfIR 2018, 253; Leitzen ZEV 2018, 311) steht demgegenüber fest, dass die EuErbVO so zu verstehen ist, dass das Vindikationslegat volle Wirksamkeit nach dem Erbstatut auch in denjenigen Rechtsordnungen entfaltet, die nur das schuldrechtlich wirkende Vermächtnis kennen. Der EuGH begründet dies mit Art. 23 Abs. 1 EuErbVO, mit der Einheitlichkeit des auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwendenden Rechts, sowie mit dem 37. Erwägungsgrund der EuErbVO. Verhindert werden soll eine Nachlassspaltung, womit dem Erbstatut Vorrang vor dem Sachenrechtsstatut eingeräumt wird. Der Anwendungsbereich des Art. 1 Abs. 2 Buchst. k EuErbVO beschränke sich, so der EuGH, auf die Existenz und die Anzahl der dinglichen Rechte. Übergangsmodalitäten werden aber von Art. 1 Abs. 2 Buchst. k EuErbVO nicht erfasst. Die Vorschrift gibt nach Ansicht des EuGH keine Handhabe dafür, das Vindikationslegat abzuerkennen. Dem Erbstatut ist der Vorzug zu geben. In der Folge entfaltet das Vindikationslegat uneingeschränkt dingliche Wirkungen bereits mit dem Erbfall. Etwas anderes lässt sich auch nicht Art. 1 Abs. 2 Buchst. l EuErbVO entnehmen, die nach Ansicht des EuGH lediglich auf Verfahrensrecht abstellt, nicht aber auf die Art und Weise, wie das Recht erworben wird. Für die Grundbuchpraxis bedeutet das EuGH-Urteil, dass eine Auflassung nicht mehr erklärt werden muss. Das Vindikationslegat entfaltet unmittelbar dingliche Wirkungen, so dass der Weg der Berichtigung nach § 22 GBO beschritten werden kann. Das Grundbuchamt kann keine Auflassung verlangen. Die Grundbuchunrichtigkeit kann mit Hilfe eines Unrichtigkeitsnachweises beseitigt werden, hier eines ENZ (s. auch Art. 63 Abs. 1 EuErbVO). Ein Problem mit § 35 GBO stellt sich nicht, da richtigerweise nach § 22 GBO vorgegangen werden muss. Erforderlich ist kein Erbnachweis, sondern ein Unrichtigkeitsnachweis. Nicht der Nachweis der Gesamtrechtsnachfolge steht im Raum, sondern eine spezielle Singularsukzession (Wilsch § 35 GBO Rn. 40-40d).
Soweit in der Literatur trotz der Entscheidung des EuGH angenommen wird, dass materielles und formelles Recht im Grundbuchverfahren auseinanderfallen, ist dem nicht zu folgen. Bereits bei der Ausarbeitung der EuErbVO war die Abgrenzung zwischen Erb- und Sachenrecht heftig umstritten. Teilweise wird bis heute neben der eben dargelegten Auffassung, dass sich der Erwerb der betreffenden Rechte außerhalb des Grundbuchs vollzieht und lediglich eine Grundbuchberichtigung gem. § 22 GBO zu erfolgen hat, vertreten, dass es – wie bei einem Damnationslegat – einer Auflassung gem. § 925 BGB nebst Eintragungsbewilligung bedarf. Teilweise wird angenommen, dass auf eine Auflassung zu verzichten ist, jedoch eine Grundbuchberichtigung aufgrund einer Berichtigungsbewilligung des Erben gem. §§ 22, 19 GBO zu fordern ist. Dieses Auseinanderfallen von materiellem und formellem Recht im Grundbuchverfahren soll die Konsequenz aus dem das deutsche Grundverfahrensrecht prägenden formellen Konsensprinzip sein, das die deutschen Grundbuchämter erheblich entlasten soll. Das Grundbuchamt soll nicht die Wirksamkeit des materiellen Rechtsübergangs prüfen müssen, sondern nur noch die Korrektheit der verfahrensrechtlichen Erklärungen und Zeugnisse. Es wird zwar von dieser Ansicht eingeräumt, dass nach § 22 Abs. 1 GBO eine Grundbuchberichtigung auch ohne Bewilligung gem. § 19 GBO erfolgen könne, jedoch müsse dazu der Erbfolgenachweis gem. § 35 Abs. 1 GBO geführt werden. Diese Vorschrift sähe jedoch ausdrücklich nur den Nachweis der „Erbfolge“ vor. Weder der Wortlaut dieser Vorschrift noch die Entstehungsgeschichte deckten eine Auslegung, wonach auch ein unmittelbarer Eigentumswechsel aufgrund eines nach ausländischem Erbstatut wirksamen Vindikationslegats, nachgewiesen durch Vorlage eines ENZ, erfasst würde. Eine analoge Anwendung des § 35 Abs. 1 S. 1 GBO auf ein Vindikationslegat nach ausländischem Erbrecht scheide aus. Die Gesetzesbegründung zum Gesetz zum Internationalen Erbrecht und zur Änderung von Vorschriften zum Erbschein sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften beweise, dass der Deutsche Bundestag sich bewusst gegen eine Anwendung dieser Vorschrift auf Vindikationslegate ausgesprochen habe, ohne diese dabei allerdings für „rechtswidrig“ zu erklären (BT-Drs. 17/4201, 58). Daraus wird abgeleitet, dass, solange das Grundbuchverfahrensrecht nicht geändert sei, kein Weg daran vorbei führe, dass auch bei einem nach deutschem Rechtsverständnis materiell gültigen Vindikationslegat nach ausländischem Erbrecht dem Grundbuchamt nach hM eine Auflassung (§ 925 BGB) nebst Eintragungsbewilligung (§ 19 GBO) vom Erben auf den Vermächtnisnehmer vorzulegen sei (Litzenburger FD-ErbR 2017, 396271)
Diese Auffassung erscheint nach der Entscheidung des EuGH nicht mehr haltbar und würde in der Praxis die Entscheidungsgrundsätze und die Wirkung, die der EuGH dem ENZ beimisst, leerlaufen lassen. Aus Sicht des EuGH soll sich der Vindikationslegatar direkt durch Vorlage eines ENZ als Rechteinhaber gegenüber dem Grundbuchamt legitimieren können. Dem steht auch nicht die Begründung des deutschen Gesetzgebers zu § 35 GBO entgegen, weil dieser in Verkennung der Bedeutung der EuErbVO gehandelt hat. Vielmehr können die §§ 19, 22, 29 und 35 GBO unionskonform ausgelegt werden, so dass neben der Erbfolge auch die Einzelrechtsnachfolge von Todes wegen durch ein ENZ nachgewiesen wird (Dorth ZEV 2018, 11; Weber DNotZ 2018, 16 mit dem zutr. Hinw., dass das ENZ geeignet sein muss, ein anzuerkennendes Vindikationslegat nachzuweisen, wenn es schon nach § 35 GBO geeignet ist, die Erbfolge nachzuweisen).
Aus diesem Grund darf das Grundbuchamt einem nachgewiesenen Vindikationslegat seine dingliche Wirkung nicht absprechen. Soweit nach französischem Recht ein Nießbrauchsrecht kraft Gesetzes entsteht, darf keine Eintragungsbewilligung mehr verlangt werden, die auch nicht mehr vom Berechtigten erteilt werden könnte (s. hierzu auch Weber DNotZ 2018, 16).
2. Eine andere Frage ist es, wie der Nachweis der Unrichtigkeit zu führen ist.
Ein gültiges ENZ stellt grds. einen Unrichtigkeitsnachweis dar, mit dem die Rechtsstellung belegt werden kann. Nach Art. 63 Abs. 2 Buchst. b, 69 Abs. 2 S. 2 EuErbVO dient das ENZ als Nachweis eines Vindikationslegats bzw. einer dinglich wirkenden Teilungsanordnung. Die Funktion als „wirksames Dokument“ soll bedeuten, dass das ENZ im Rahmen seiner Beweis- und Vermutungswirkung gem. Art. 69 Abs. 2 EuErbVO für Zwecke einer Registereintragung von Nachlassvermögen in allen Mitgliedstaaten als Nachweis akzeptiert werden muss (Dutta in MüKoBGB, 2018, Art. 69 EuErbVO Rn. 30; J. Schmidt in BeckOK, Art. 69 EuErbVO Rn. 57).
Aus diesen Gründen ist die Auffassung abzulehnen, auch bei Vorliegen eines ENZ müsse das Grundbuchamt prüfen, ob die betroffene Rechtsordnung einen unmittelbar dinglich wirkenden Erwerb zulässt und ob im konkreten Einzelfall der Rechtsübergang tatsächlich stattgefunden habe (Döbereiner GPR 2014, 42; Litzenburger FD-ErbR 2017, 396271; Wachter ZErb 2017, 358), was ohne Rechtsgutachten zum ausländischen Erb- und Sachenrecht nicht geschehen könne. Diese Auffassung ist mit Art. 69 EuErbVO nicht vereinbar.
Konsequenz der Anwendung von Art. 69 EuErbVO ist es aber andererseits auch nicht, wie ebenfalls vertreten wird, dass das deutsche Grundbuchamt nicht berechtigt ist, die Richtigkeit des ENZ zu prüfen (Wilsch ZEV 2012, 530). Das scheint zu weitgehend, weil das ENZ keine unwiderlegliche Vermutung zugunsten des Legatars formuliert. Zwar ist in Art. 69 Abs. 5 EuErbVO die Rede davon, dass das Zeugnis ein wirksames Schriftstück für die Eintragung des Nachlassvermögens in das einschlägige Register eines Mitgliedstaats darstellt. In Art. 69 Abs. 2 EuErbVO ist aber ausdrücklich geregelt, dass dem ENZ lediglich eine Vermutungswirkung zukommt.
Wie auch sonst bei nationalen Erbscheinen steht den Grundbuchämtern ein Prüfungsrecht zu, soweit Zweifel dies gebieten (Grziwotz in MüKoBGB, 2017, § 2365 Rn. 27 zur Rechtslage bei einem deutschen Erbschein).
Zu beachten ist auch, dass vor einer Grundbuchberichtigung denjenigen rechtliches Gehör zu gewähren ist, deren grundbuchmäßiges Recht durch die berichtigende Eintragung beeinträchtigt werden kann (Demharter, GBO, 31. Aufl., § 1 Rn. 69, § 22 Rn. 49). Das bedeutet im vorliegenden Fall, dass den Erben, an deren Miteigentumsanteil das Nießbrauchsrecht eingetragen werden soll, rechtliches Gehör zu bewilligen ist, auch wenn sie – wegen des gleichzeitigen Antrags – noch nicht als Miteigentümer im Grundbuch eingetragen sind. Durch die Eintragung des Nießbrauchsrechts wird ihr Miteigentumsanteil beeinträchtigt.
3. Zu beachten ist auch, dass im ENZ das Vindikationslegat nach § 28 S. 1 GBO richtig zu bezeichnen ist. Deutsches Grundbuchrecht wird insoweit nicht tangiert (Art. 1 Abs. 2 Buchst. l EuErbVO; Wilsch ZfIR 2018, 253 [260]; Böhringer ZfIR 2018, 81 [83]; Kleinschmidt LMK 2018, 403371). Das Grundbuchamt ist allerdings gehalten, eine Zwischenverfügung zu erlassen, sollte im ENZ dem Bezeichnungsgebot nach § 28 S. 1 GBO nicht Genüge getan sein (Wilsch § 35 GBO Rn. 40-40d; Weber DNotZ 2018, 16; Ludwig, FamRB 2018, 64).
Dieses Bezeichnungsgebot ist im vorgelegten ENZ nicht beachtet. Dort ist der der Ast. zugewiesene Vermögenswert (5/8 Volleigentum und 3/8 Nießbrauch) lediglich wie folgt bezeichnet: „an den Immobililargütern in … (Deutschland), …, bestehend aus einer Einzimmerwohnung mit Bad und Kochecke“. Das genügt nach § 28 S. 1 GBO nicht.
4. Aus diesen Gründen war der angefochtene Beschluss aufzuheben. Das Grundbuchamt muss über den Eintragungsantrag erneut unter Beachtung der oben dargelegten Rechtsauffassung entscheiden.