OLG München, Beschluss vom 24.09.2019 – 31 Wx 326/18
Zentrale Normen: § 1371 BGB
(Qualifikation des § 1371 I BGB für Altfälle)
Leitsätze:
1. Bei Erbfällen vor dem 17.8.2015 (Inkrafttreten der EuErbVO), bei denen das Erbrechts- und das Güterrechtsstatut auseinanderfallen, verbleibt es bei der vom BGH (ZEV 2015, 409ff) angenommenen güterrechtlichen Einordnung von § 1371 Abs. 1 BGB.
2. Die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Mahnkopf (ZEV 2018, 205ff) ist für die Nachlassgerichte nur in Verfahren bindend, in denen der Anwendungsbereich der EuErbVO eröffnet ist.
3. Ein Erbschein, der vor Inkrafttreten der EuErbVO unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BGH zur güterrechtlichen Qualifikation des § 1371 Abs. 1 BGB erteilt wurde, ist deswegen nicht unrichtig geworden und nicht einzuziehen.
Problem:
Nachdem der EuGH in seinem Urteil in der Rechtssache Mahnkopf beschlossen hat, das güterrechtliche Viertel des § 1371 I BGB beim gesetzlichen Ehegattenerbrecht erbrechtlich zu qualifizieren, ist zumindest im Anwendungsbereich der EuErbVO der jahrzehntelange Streit bezüglich der Qualifikation geklärt. Da jedoch der BGH in einem Urteil vor Inkrafttreten der EuErbVO den § 1371 I BGB güterrechtlich qualifizierte, stellte sich die Frage, welcher Qualifikation für Altfälle zu folgen sei.
Aus den Gründen:
I.
Die kinderlose Erblasserin war griechische Staatsangehörige. Sie ist am ...2015 in B. verstorben.
Die Beteiligten zu 1 und 2, die Geschwister der Erblasserin, beantragen die Einziehung des vom Nachlassgericht am 26.2.2018 erteilten Erbscheins, der sie zu Erben nach ihrer Schwester zu je 1/8 und den am 10.6.2015 nachverstorbenen Ehemann der Erblasserin zu ¾ ausweist.
Dem liegt zugrunde, dass die Erblasserin zwar griechische Staatsangehörige war, sie aber mit ihrem Ehemann ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hatte, woraus das Nachlassgericht im Erbscheinserteilungsverfahren den Schluss gezogen hatte, dass auf den vorliegenden Fall griechisches Erb- und deutsches Güterrecht anzuwenden sei. Es hat deshalb den Erbteil des Ehemannes gemäß §§ 1937 Abs. 1, 1371 Abs. 1 BGB entsprechend erhöht. Auf den angefochtenen Beschluss des Nachlassgerichts wird insoweit Bezug genommen.
Nach der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Mahnkopf (ZEV 2018, 205 ff) sind die Beschwerdeführer nunmehr der Ansicht, die vom EuGH angenommene erbrechtliche Qualifikation des § 1371 Abs. 1 BGB sei auf den vorliegenden Fall mit der Folge zu übertragen, dass der erteilte Erbschein unrichtig und deswegen einzuziehen sei.
Statt dessen sei ein Erbschein zu erteilen, der die Beschwerdeführer zu je ¼ und den Ehemann zu ½ ausweist.
Das Nachlassgericht hat den erteilten Erbschein nicht eingezogen, es beruft sich im Wesentlichen darauf, dass die Grundsätze der Entscheidung des EuGH nicht auf Fälle vor Inkrafttreten der EuErbVO vom 17.8.2015 übertragbar seien.
II.
Die zulässigen Beschwerden bleiben in der Sache ohne Erfolg. Zutreffend ist das Nachlassgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Voraussetzungen für die Einziehung des erteilten Erbscheins gemäß § 2361 BGB nicht vorliegen.
1. Ein Erbschein ist einzuziehen, wenn sich nach der Erteilung seine Unrichtigkeit herausstellt. Unrichtig ist der Erbschein, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung entweder schon ursprünglich nicht gegeben waren oder nachträglich entfallen sind. Das Nachlassgericht hat sich bei der Entscheidung in die Lage zu versetzen, als hätte es den Erbschein erstmalig zu erteilen (BayObLGZ 1980, 72 (74); Gierl in: Burandt/Rojahn, 3. Auflage <2019>, BGB § 2361 Rn. 4; Keidel/Zimmermann FamFG, 19. Auflage <2018> § 353 Rn. 3; Krätzschel in: Firsching/Graf, Nachlassrecht, 11. Auflage <2019>, § 39 Rn. 2).
2. Allerdings liegen die Voraussetzungen der Unrichtigkeit des Erbscheins im vorliegenden Fall nicht vor, denn der BGH hat seine Rechtsprechung zur Qualifizierung von § 1371 Abs. 1 BGB nicht geändert und der Senat folgt dieser Rechtsprechung (2. b aa)) und die Rechtsprechung des EuGH bindet vorliegend den Senat nicht (2. b bb)).
Deswegen braucht vorliegend nicht entschieden zu werden, ob sich die Unrichtigkeit des Erbscheins sich auch aus einer nachträglichen Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung ergeben kann, wofür spricht, dass der Erbschein der materiellen Rechtskraft nicht zugänglich ist (Krätzschel, a.a.O. Rn. 1).
a) Zutreffend ist das Nachlassgericht davon ausgegangen, dass im vorliegenden Fall griechisches Erbrecht zur Anwendung kommt, Art. 25 Abs. 1 EGBGB (in der bis zum 16.8.2015 geltenden Fassung), weil die Erblasserin griechische Staatsangehörige war und vor Inkrafttreten der EuErbVO verstorben ist. Entsprechend dem griechischen ZGB wird dabei der überlebende Ehegatte neben Verwandten der 2. Ordnung Erbe zu ½.
b) Zugleich findet deutsches Güterrecht Anwendung, weil die Ehegatten in Deutschland zum Zeitpunkt der Eheschließung ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatten (vgl. Döbereiner in: Firsching/Graf, a.a.O. § 48 Rn. 54 (Griechenland)). Deswegen steht dem überlebenden Ehegatten neben seinem gesetzlichen Erbteil von ½ gemäß § 1371 Abs. 1 BGB ein Anspruch auf Ausgleich des Zugewinns durch Erhöhung durch Erhöhung des gesetzlichen Erbteils um ¼, mithin eine Gesamtquote von ¾ zu.
aa) Der Senat teilt im Hinblick auf diese Frage die Ansicht des BGH (ZEV 2015, 409 ff), wonach die Durchführung des pauschalen Zugewinns bei Auflösung der Ehe durch den Tod eines Ehegatten gemäß § 1371 BGB güterrechtlich zu qualifizieren ist. Das folgt aus der vom BGH überzeugend begründeten Annahme, dass es der Zweck der Vorschrift ist, den Güterstand als Sonderordnung des Vermögens der Eheleute während und aufgrund der Ehe abzuwickeln, nicht aber den Längstlebenden kraft seiner nahen Verbundenheit mit dem Erblasser an dessen Vermögen zu beteiligen (BGH, a.a.O. S. 411 Tz. 25). Insbesondere teilt der Senat die Ansicht des BGH, wonach durch § 1371 Abs. 1 BGB gerade die Schwierigkeiten vermieden werden sollen, die nach dem Tod eines Ehegatten entstehen können, wenn die Erben einerseits über den Bestand von Anfangs- und Endvermögen nicht Bescheid wissen und andererseits die Eheschließung u.U. schon geraume Zeit zurückliegt und deswegen die erforderlichen Feststellungen zu Bestand von Anfangs- und Endvermögen nicht mehr (leicht) getroffen werden können. In diesen Fällen hat sich der Gesetzgeber für die pauschale Erhöhung der gesetzlichen Erbquote entschieden, was nichts am güterrechtlichen Charakter der Regelung ändert (BGH, a.a.O.).
bb) Die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Mahnkopf (EuGH ZEV 2018, 205) rechtfertigt im vorliegenden Verfahren keine abweichende Beurteilung. Soweit der EuGH die Vorschrift des § 1371 Abs. 1 BGB erbrechtlich qualifiziert, um ihn der EuErbVO zu unterwerfen und die Handhabung des Europäischen Nachlasszeugnisses (ENZ) zu erleichtern, kann dieses Argument im vorliegenden Fall schon deshalb nicht greifen, weil die Erteilung eines ENZ hier nicht in Betracht kommt; auch die EuErbVO spielt im vorliegenden Verfahren keine Rolle. Da der Anwendungsbereich der EuErbVO nicht eröffnet ist, ist der Senat an die Rechtsprechung des EuGH auch nicht gebunden. Er folgt vielmehr aus den dargestellten Gründen der Rechtsprechung des BGH.
Mithin ist der erteilte Erbschein nicht unrichtig, seine Einziehung kommt nicht in Betracht.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG.
Der Geschäftswert der Beschwerdeverfahren war, da sich die Beschwerdeführer gegen den Erbschein wenden, der den Beteiligten zu 4 als Erben zu 3/4 ausweist, gemäß §§ 61, 40, 36 GNotKG entsprechend dem wirtschaftlichen Interesse der Beschwerdeführer an einer obsiegenden Entscheidung auf jeweils 3/4 des reinen Nachlasswertes festzusetzen. Nach den vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen betrug der Wert des Nachlasses zum Zeitpunkt des Erbfalls 330.000 €.
IV.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor.
Die zur Entscheidung stehende Frage ist durch die Entscheidung des BGH ZEV 2015, 409 ff höchstrichterlich geklärt; da der Senat diese Ansicht teilt und nicht abweichend entscheidet, liegen die Voraussetzungen des § 70 Abs. 2 S. 1 FamFG nicht vor (Keidel/Meyer-Holz FamFG, a.a.O., § 70 Rn. 22).
Der Senat weicht mit seiner Entscheidung auch nicht von der Rechtsprechung des EuGH ab, so dass er auch nicht unter diesem Gesichtspunkt die Rechtsbeschwerde zuzulassen hätte (§ 70 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 Alt. 2, vgl. Keidel/Meyer-Holz, a.a.O., 29). Maßgeblich ist insoweit, dass die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Mahnkopf (EuGH ZEV 2018, 205) einen Sachverhalt betrifft, der dem Anwendungsbereich der EuErbVO unterfällt, was hier jedoch schon nicht der Fall ist.