KG Berlin, Beschluss vom 3. 9. 2019 – 1 W 161/19
Zentrale Normen: §§ 873, 875, 899 BGB, §§ 13, 18 GBO, Artikel 62 ff. EuErbVO
(Anerkennung eines europäischen Nachlasszeugnisses im deutschen Grundbuchverfahren)
Anmerkung:
Der Nachweis der Verfügungsbefugnis eines Erben kann durch ein Europäisches Nachlasszeugnis nur durch Vorlage einer von der Ausstellungsbehörde ausgestellten beglaubigten Abschrift des Zeugnisses geführt werden, deren Gültigkeitsfrist im Zeitpunkt der Eintragung im Grundbuch noch nicht abgelaufen ist. Das gilt auch bei Ablauf der Gültigkeitsfrist nach Antragstellung beim Grundbuchamt.
Aus den Gründen:
2. Die Beschwerde ist nicht begründet.
a) Steht einer beantragten Eintragung ein Hindernis entgegen, so hat das GBA entweder den Antrag unter Angabe der Gründe zurückzuweisen oder dem Antragsteller eine angemessene Frist zur Hebung des Hindernisses zu bestimmen, § 18 Abs. 1 Satz 1 GBO. Ein solches Eintragungshindernis liegt hier vor, sodass die Zwischenverfügungen zu Recht ergangen sind. Das GBA hat jedes bis zur Erledigung des Antrages auftretende Hindernis zu beachten, maßgebend ist also nicht der Zeitpunkt der Antragstellung, sondern derjenige der Vollendung der Eintragung (BayObLGZ 1948, 360, 365; Demharter, GBO, 31. Aufl., § 18 Rdn. 4; Böttcher in Meikel, GBO, 11. Aufl., § 18 Rdn. 8; Volmer in KEHE, Grundbuchrecht 8. Aufl., § 18 Rdn. 15).
b) Die Löschung einer Vormerkung erfolgt auf Antrag, § 13 Abs. 1 Satz 1 GBO, wenn sie der Vormerkungsberechtigte bewilligt, § 19 GBO. Hat nicht der Vormerkungsberechtigte selbst, sondern sein Rechtsnachfolger die Löschung bewilligt, ist die Rechtsnachfolge nachzuweisen. Im Fall der Erbfolge kann der Nachweis nur durch einen Erbschein oder – wenn der Erblasser wie hier nach dem 17. 8. 2015 verstorben ist – ein Europäisches Nachlasszeugnis geführt werden, § 35 Abs. 1 Satz 1 GBO.
aa) Das Europäische Nachlasszeugnis ist zur Verwendung durch Erben bestimmt, die sich in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union auf ihre Rechtsstellung berufen müssen, Art. 63 Abs. 1 Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 4. 7. 2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses (EuErbVO). Dem GBA ist das Europäische Nachlasszeugnis in beglaubigter Abschrift vorzulegen, weil die Ausstellungsbehörde dem Antragsteller und jeder anderen Personen, die ein berechtigtes Interesse nachweist, lediglich beglaubigte Abschriften ausstellt, Art. 70 Abs. 1 EuErbVO (Schaub in Bauer/Schaub, GBO, 4. Aufl., § 35 Rdn. 117). Die beglaubigten Abschriften sind regelmäßig nur für einen begrenzten Zeitraum von sechs Monaten gültig, Art. 70 Abs. 3 Satz 1 EuErbVO. Nach Ablauf dieses Zeitraums muss jede Person, die sich im Besitz einer beglaubigten Abschrift befindet, bei der Ausstellungsbehörde eine Verlängerung der Gültigkeitsfrist der beglaubigten Abschrift oder eine neue beglaubigte Abschrift beantragen, um das Zeugnis zu den in Art. 63 EuErbVO angegebenen Zwecken verwenden zu können, Art. 70 Abs. 3 Satz 3 EuErbVO.
bb) Die von den Beteiligten zu 1) und 2) mit dem Antrag vom 9. 11. 2018 vorgelegten beglaubigten Abschriften des Europäischen Nachlasszeugnisses vom 8. 6. 2017 wiesen eine Gültigkeit bis zum 14. 11. 2018 bzw. bis zum 29. 12. 2018 aus, waren also bei Eingang des Antrages bei dem GBA am 13. 11. 2018, § 13 Abs. 2 Satz 2 GBO, noch gültig. Inzwischen sind sie es nicht mehr.
Allerdings wird insoweit die Ansicht vertreten, dass der Ablauf der Gültigkeitsfrist – der beglaubigten Abschrift – eines Europäischen Nachlasszeugnisses nach Antragstellung beim GBA unschädlich sein solle. Der Antragsteller habe keinen Einfluss auf die Bearbeitungszeiten des GBA und im Übrigen streite für ihn die gesetzliche Wertung des § 878 BGB (Wilsch in Hügel, BeckOK-GBO, 2019, § 35 Rdn. 39; ders. in Gierl/Köhler/Kroiß/ Wilsch, Internationales Erbrecht, 2. Aufl., Teil 3, § 5 Rdn. 28; Volmer, aaO, § 35 Rdn. 79; ders., notar 2016, 323, 325; Schaub, aaO, Rdn. 119; Dutta in MünchKommBGB, 7. Aufl., Art. 69 EuErbVO Rdn. 4).
Nach anderer Meinung soll der Zeitpunkt der Eintragung im Grundbuch maßgeblich sein (Schmitz, RNotZ 2017, 269, 286; Lange, DNotZ 2016, 103, 112; Böhringer, NotBZ 2015, 281, 284).
Der Senat schließt sich der letztgenannten Auffassung an. Ein Erbschein begründet im Grundbuchverfahren über die materiell-rechtliche Vermutungswirkung des § 2365 BGB hinaus volle Beweiskraft für das Bestehen des in ihm bezeugten Erbrechts, § 35 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 GBO (OLG Frankfurt, FGPrax 2019, 58, 59; OLG München, FamRZ 2016, 939, 940; Demharter, aaO, § 35 Rdn. 27). Daneben stellt das Europäische Nachlasszeugnis ein wirksames Schriftstück für die Eintragung des Nachlassvermögens in das einschlägige Register eines Mitgliedstaates dar, Art. 69 Abs. 5 EuErbVO. Das Zeugnis kann insbesondere als Nachweis für die Rechtsstellung und/oder die Rechte jedes Erben verwendet werden, Art. 63 Abs. 2 lit. a EuErbVO. Entsprechend hat der – nationale – Gesetzgeber – klarstellend (vgl. Lange, aaO) – § 35 Abs. 1 Satz 1 GBO um das Europäische Nachlasszeugnis als ein dem Erbschein gleichstehendes Beweismittel im Grundbuchverfahren ergänzt, Art. 6 Gesetz zum Internationalen Erbrecht und zur Änderung von Vorschriften zum Erbschein sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften v. 29. 6. 2015 (BGBl. I, S. 1042).
Die Beweiskraft des Europäischen Nachlasszeugnisses geht im Grundbuchverfahren aber nicht über die Wirkungen hinaus, die vom europäischen Gesetzgeber bestimmt worden sind. Danach wird vermutet, dass die Person, die im Zeugnis als Erbe genannt ist, die in dem Zeugnis genannte Rechtsstellung und/oder die in dem Zeugnis aufgeführten Rechte oder Befugnisse hat und dass diese Rechte oder Befugnisse keinen anderen als den im Zeugnis aufgeführten Bedingungen und/oder Beschränkungen unterliegen, Art. 69 Abs. 2 Satz 2 EuErbVO. Im Rechtsverkehr treten an die Stelle der bei der Ausstellungsbehörde zu verbleibenden Urschrift des Zeugnisses die den berechtigten Personen auszuhändigenden beglaubigten Abschriften, Art. 70 Abs. 1 EuErbVO. Bei diesen beglaubigten Abschriften handelt es sich um Ausfertigungen im Sinne der deutschen Gesetzessystematik (BT-Drucks. 18/4201, S. 81; Fornasier in Dutta/Weber, Internationales Erbrecht, Art. 70 EuErbVO Rdn. 2; Wagner/Fenner, FamRZ 2015, 1668, 1673; Volmer, Rpfleger 2013, 421, 430).
Im Gegensatz zum – deutschen – Erbschein ist eine Einziehung des Europäischen Nachlasszeugnisses nicht vorgesehen. Dem Schutz des Rechtsverkehrs soll vielmehr u. a. die regelmäßige Gültigkeitsfrist von sechs Monaten dienen, § 70 Abs. 3 Satz 1 EuErbVO (Dutta, aaO, Art. 70 EuErbVO Rdn. 1; Fornasier, aaO, Rdn. 6; Dorsel in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, 2019, Art. 70 EuErbVO Rdn. 6). Nach Ablauf der Gültigkeitsfrist verliert die beglaubigte Abschrift die ihr nach Art. 69 Abs. 2 und 5 EuErbVO zukommenden Beweiswirkungen (Österr. OGH, FamRZ 2018, 635, 637; Dutta, aaO, Art. 69 EuErbVO Rdn. 2; Fornasier, aaO, Rdn. 7).
Bei einem Fristablauf vor Antragstellung bei dem GBA ist es nicht streitig, dass ein solches Europäisches Nachlasszeugnis zum Nachweis der Erbfolge ungeeignet ist (Wilsch in Hügel, aaO; ders. in Gierl/Köhler/Kroiß/Wilsch, Internationales Erbrecht, aaO, Rdn. 25; ders., ZEV 2012, 530, 532; Schaub, aaO). Nicht anders ist es aber bei Fristablauf nach Antragstellung. Auch einem solchen Zeugnis fehlt die zur Eintragung im Grundbuch erforderlich Beweiskraft. Daran ändert es nichts, dass die Antragsteller in der Regel keinen Einfluss auf die Dauer des Eintragungsverfahrens haben. Die in Art. 70 Abs. 3 Satz 1 EuErbVO geregelte Frist ist bewusst kurz bemessen worden (Wagner/Fenner, aaO). Die Ausstellungsbehörde soll damit stets die Kontrolle über die von ihr ausgestellten beglaubigten Abschriften des Nachlasszeugnisses behalten (Dutta, aaO, Art. 70 EuErbVO Rdn. 1). Genügte für die Beweiswirkung des Nachlasszeugnisses der Zeitpunkt der Antragstellung, könnte diese Kontrollfunktion ins Leere gehen, wenn die Eintragung im Grundbuch erst lange Zeit danach erfolgte.
Der Senat verkennt dabei die in § 878 BGB (und § 130 Abs. 2 BGB, vgl. Volmer, notar 2016, 323, 325) getroffenen Wertungen nicht. Damit sollen diejenigen geschützt werden, die wegen des Eintragungszwangs, §§ 873, 875, 899 BGB, auf die Mitwirkung des GBA angewiesen sind und deshalb ihren rechtlich geschützten Gestaltungswillen, § 903 BGB bzw. Art. 14 GG, nicht sogleich verwirklichen können (BGH, DNotZ 2017, 119, 122). Deshalb soll eine nach Antragstellung eingetretene Verfügungsbeschränkung die Wirksamkeit der Verfügungserklärung nicht mehr beeinträchtigen (Palandt/Herrler, BGB, 78. Aufl., § 878 Rdn. 1). Das ansonsten bestehende Erfordernis der Verfügungsbefugnis im Zeitpunkt der Eintragung wird damit überwunden.
Es besteht hingegen kein Anlass, diese zum materiellen Recht getroffenen (Ausnahme-)Regelungen zu verallgemeinern und im Verfahrensrecht finden sie auch keine Entsprechung. Verfahrensrechtlich geht es darum, die Befugnis zur Bewilligung, § 19 GBO, der beantragten Eintragung nachzuweisen. Auch insoweit ist der Zeitpunkt der Eintragung maßgeblich (Senat, Beschl. v. 21. 11. 2011 – 1 W 652/11, FGPrax 2012, 8; Demharter, aaO, § 19 Rdn. 60). Mit einem unwirksam gewordenen Europäischen Nachlasszeugnis ist nach den obigen Ausführungen der erforderliche Nachweis nicht zu erbringen. Insbesondere beweist ein solches Zeugnis auch nicht die Verfügungsbefugnis zu einem früheren Zeitpunkt, etwa dem der Antragstellung. Letztlich stellt sich die Situation für den Antragsteller nicht anders dar, als wenn ein bei Antragstellung vorgelegter Erbschein im Laufe des Eintragungsverfahrens eingezogen oder für kraftlos erklärt worden wäre. Hat das GBA positive Kenntnis davon, ist der gestellte Antrag zurückzuweisen oder durch Zwischenverfügung die Vorlage eines anderen Erbscheins aufzugeben (Krause in Meikel, § 35 Rdn. 87; Volmer in KEHE, aaO, § 35 Rdn. 61; Schaub, aaO, § 35 Rdn. 98).
Etwas anderes folgt nicht aus der auch von dem Senat vertretenen Rechtsprechung zum Nachweis der Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters (Senat, aaO). Sie kann auch durch Vorlage einer beglaubigten Abschrift der Bestellungsurkunde erfolgen, wenn ein Notar zeitnah zu einer beantragten Grundbucheintragung bestätigt, dass die Urschrift bei Abgabe der zur Eintragung erforderlichen Grundbucherklärung vorgelegen hat. Die Möglichkeit des Erlöschens des Amtes des Insolvenzverwalters kann dann außer Acht bleiben, wenn sie nach den Umständen des Einzelfalls wenig wahrscheinlich erscheint (Senat, aaO, 9). Diese Fallgestaltung unterscheidet sich jedoch grundlegend zu der des vorliegend zu entscheidenden Sachverhalts. Während die Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters wenigstens im Zeitpunkt seiner Erklärung nachgewiesen ist und auf ihr Fortbestehen bei zeitnaher Eintragung im Grundbuch nach der Lebenserfahrung geschlossen werden kann, fehlt es bei einem unwirksam gewordenen Europäischen Nachlasszeugnis an dem erforderlichen Beweis überhaupt. Nach Ablauf der Gültigkeitsfrist steht das Erbrecht des in der beglaubigten Abschrift ausgewiesenen Erben nicht fest und es ist Sache der Ausstellungsbehörde zu prüfen, ob auf Antrag diese Frist verlängert werden kann. (…)