FG Münster, Urteil vom 23.03.2023 - 1 K 2478/21 E - Einkommensteuerliche Behandlung von anlässlich der Auflösung eines US-Trusts vorgenommenen Auskehrungen

 

Normenkette: EStG § 20 Abs. 1 Nr. 2 und 9, § 32dAbs. 1, § 22 Nr. 1 S. 2 Hs. 2 Buchst. a, § 3 Nr. 40 S. 1 Buchst. i

ErbStG § 7 Abs. 1 Nr. 9 S. 2

AStG § 15

GG Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 iVm Art. 2 Abs. 1, Art. 100 Abs. 1

 

Leitsätze:

1.Die bei der Auflösung eines intransparenten US-Trusts gewährten Auskehrungen können beim Empfänger nach § 20 Abs. 1 Nr. 9 S. 2 iVm S. 1 Hs. 2 iVm Abs. 1Nr. 2 EStG steuerbar sein.

 

2.Die Besteuerung der anlässlich der Auflösung eines intransparenten US-Trusts vorgenommenen Auskehrungen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 9 S. 2 iVm S. 1 Hs. 2 iVm Abs. 1 Nr. 2 EStG iVm § 32d Abs. 1 EStG verstößt auch dann nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG, wenn diese Auskehrungen beim Empfänger bereits nach § 7 Abs. 1 Nr. 9 S. 2 ErbStG der Schenkungsteuer unterlegen haben.

 

3.Soweit von § 20 Abs. 1 Nr. 9 S. 2 iVm S. 1 Hs. 2 iVm Abs. 1 Nr. 2 EStG auch Wertsteigerungen erfasst werden, die bis zum Zeitpunkt der Verkündung des JStG 2010 am 8.12.2010 (BGBl. 2010 I 1768) entstanden sind, verstößt die Norm gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot, wenn der Anfallsberechtigte im Hinblick auf das Trustvermögen zu diesem Zeitpunkt bereits eine gefestigte Vermögensposition innehatte.

 

4.Die Bestimmung des § 20 Abs. 1 Nr. 9 S. 2 iVm S. 1 Hs. 2 iVm Abs. 1 Nr. 2 EStG kann bei einem Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot dahingehend verfassungskonform ausgelegt werden, dass sie nur die seit dem 8.12.2010 entstandenen Wertsteigerungen erfasst. Einer Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG bedarf es insofern nicht.

 

Tatbestand:

1 Die Beteiligten streiten über die Steuerpflicht von Vermögensübertragungen aus der Auflösung von zwei US-amerikanischen Trusts.

 

2 Die Kläger sind Eheleute, die im Streitjahr 2016 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Der Kläger erzielte im Streitjahr als …. Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit. Daneben erzielte der Kläger im Streitjahr Einnahmen aus Kapitalvermögen in Höhe von xxx € und die Klägerin in Höhe von xxx €.

 

3 Zudem erzielte die Klägerin im Streitjahr Einnahmen aus der Auflösung von zwei Trusts, die am 18.4.1984 vom Großvater der Klägerin, N, (im Folgenden: Trust Großvater) bzw. am 9.6.1984 vom Vater der Klägerin, D, (im Folgenden: Trust Vater) als jeweiliger „Grantor“ gegründet worden waren. Beide Trusts waren unwiderruflich (sog. „irrevocable trusts“) und hatten eine Laufzeit bis zum Tod des Vaters der Klägerin. Nach der Gründung hatten die beiden Gründer kein Recht, die Trusts oder eine Bestimmung darin zu ändern, zu ergänzen, zu widerrufen oder zu beenden. In beiden Trusts waren die Klägerin und ihre Schwester W. als sog. „Trustees“ eingesetzt, die das jeweilige Trustvermögen zu verwalten hatten. Während der Laufzeit der Trusts stand dem Vater der Klägerin das gesamte Nettoeinkommen aus dem Trust Vater zu und aus dem Trust Großvater diejenigen Beträge, die zum Unterhalt und zur Unterstützung des Vaters der Klägerin erforderlich waren. Die Auszahlung erfolgte während dieser Zeit nach dem Ermessen der Trustees. Nach dem Tod des Vaters der Klägerin sollte das Vermögen unter allen seinen sechs Kindern, also der Klägerin und ihren Geschwistern (W., M., D. jun., T. und S.) gleichmäßig verteilt werden. Für den Fall, dass ein Kind vor dem Vater versterben sollte, sollte das Vermögen nach Stämmen auf die Nachkommen des verstorbenen Kindes verteilt werden. Ferner enthielten die Vereinbarungen Sonderregelungen für den Fall, dass eines der Kinder beim Tod des Vaters das 22. (Trust Großvater) bzw. das 25. Lebensjahr (Trust Vater) noch nicht erreicht haben sollte.

 

4 Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die in die deutsche Sprache übersetzten Gründungsurkunden (Bl. 89-105 und Bl. 124-133 GA) Bezug genommen. Welche Vermögensgegenstände im Einzelnen in die Trusts eingebracht wurden, ergibt sich aus den dem Gericht vorliegenden Unterlagen nicht. Ferner lässt sich nicht mehr feststellen, ob und – falls ja – in welchem Umfang tatsächlich laufende Erträge der Trusts an den Vater ausgezahlt wurden.

 

5 Im Übrigen liefen die Trusts bis zum Tod des Vaters am xx.xx.2015. Zu diesem Zeitpunkt hatten alle sechs Kinder das 25. Lebensjahr vollendet, sodass es im Streitjahr 2016 zur Verteilung des Vermögens (Wertpapiere, Bargeld sowie ein Anteil an einem Grundstück) an die Klägerin und ihre Geschwister kam. Der Klägerin wurden folgende Vermögenswerte aus der Auflösung der beiden Trusts übertragen:

 

6 Trust Großvater

Anzahl

Name

Wert in US-$

Wert in € (Kurs 1:1,1103)

2000

xxx

x

y

166

xxx

x

y

166

xxx

x

y

1696

xxx

x

y

513

xxx.

x

y

112

xxx.

x

y

6080

xxx

x

y

461

xxx.

x

y

1384

xxx

x

y

833

xxx

x

y

7837

xxx

x

y

2000

xxx

x

y

169

xxx

x

y

183

xxx

x

y

 

Bargeld

x

y

 

Summe

 

„Summe 1“

7 Trust Vater

Anzahl

Name

Wert in US-$

Wert in € (Kurs 1:1,1103)

3333

xxx.

x

y

833

xxx

x

y

333

xxx.

x

y

500

xxx

x

y

833

xxx

x

y

333

xxx

x

y

416

xxx

x

y

 

Bargeld

y

y

 

Farmland

y

ggg

 

Summe

 

„Summe 2“

8 Noch im Streitjahr 2016 veräußerte die Klägerin die aus den Trusts erhaltenen Wertpapiere, woraus ein Verlust in Höhe von vvv € resultierte, der in ihren o.g. Kapitaleinkünften enthalten war.

 

9 Die Klägerin reichte beim Finanzamt N-Stadt eine Erbschaftsteuererklärung für die von ihrem Vater erworbene Erbschaft ein, in der sie neben anderen Vermögensgegenständen auch den Erwerb aus dem Trust Vater als Schenkung gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2 des Erbschaftsteuergesetzes (ErbStG) in Höhe von „Summe 2“ € angab. Das Finanzamt N-Stadt erließ am 9.6.2017 einen Freistellungsbescheid über Schenkungsteuer bezüglich dieses Trusts. Den hiergegen eingelegten Einspruch verwarf es mangels Rechtsschutzbedürfnisses als unzulässig. Zur Festsetzung einer Erbschaftsteuer kam es nicht, weil der persönliche Freibetrag ohne Einbeziehung des Trusts nicht überschritten wurde.

10Den Erwerb aus dem Trust Großvater in Höhe von xxx € gab die Klägerin in einer Schenkungsteuererklärung an. Hierauf setzte das Finanzamt N-Stadt am 9.6.2017 Schenkungsteuer in Höhe von xxx € fest.

 

11 In ihrer für das Streitjahr 2016 am 25.9.2017 eingereichten Einkommensteuererklärung gaben die Kläger neben den übrigen Einkünften auch die Auskehrung der beiden Trusts in Höhe von insgesamt „Summe 1“ + „Summe 2“) als ausländische Kapitalerträge an. Sie wiesen aber zugleich darauf hin, dass aus ihrer Sicht wegen einer in der bereits abgegebenen Erbschaftsteuererklärung erfolgten Erfassung dieser Beträge keine Einkommensbesteuerung in Betracht komme, da ansonsten eine Doppelbesteuerung eintrete.

12 Der Beklagte erfasste diese Beträge gleichwohl im unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Einkommensteuerbescheid vom 29.12.2017 als Einkünfte aus Kapitalvermögen gemäß § 20 Abs. 1Nr. 9 des Einkommensteuergesetzes (EStG) mit einem Steuersatz von 25 %.

 

13 Während des Verfahrens über den hiergegen eingelegten Einspruch führte der Beklagte eine abgekürzte Außenprüfung für die Einkommensteuer 2016 bei den Klägern durch. Im abgekürzten Prüfungsbericht vom 4.5.2020, auf den wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, führte der Prüfer aus, dass die Kapitalerträge um das bei Gründung vorhandene Vermögen zu mindern seien. Als Gründungsvermögen komme allerdings nur das einzig nachweisbare Grundvermögen in Betracht. Alle weiteren Vermögenszugänge (insbesondere Aktien und Wertpapiere) ergäben sich nur aus den Erträgen der Grundstücke. Beim Trust Vater sei daher für die Ermittlung der Kapitalerträge der auf das Grundvermögen entfallende Betrag in Höhe von ggg € abzuziehen, beim Trust Großvater nichts. Alle übrigen ausgezahlten Überschüsse seien mit Gewinnausschüttungen vergleichbar und daher als Einkünfte aus Kapitalvermögen zu erfassen.

 

14 Der Beklagte erließ aufgrund der Ergebnisse der abgekürzten Außenprüfung daraufhin am 20.5.2020 einen geänderten Einkommensteuerbescheid für 2016, in dem er die Kapitaleinnahmen der Klägerin aus den Trusts um ggg € niedriger als zuvor, also in Höhe von kkk € ansetzte.

 

15 Hinsichtlich der Höhe der Kapitalerträge wiesen die Kläger darauf hin, dass auch beim Trust Großvater Anfangsvermögen abzuziehen sei, denn bereits bei Gründung hätten 6.669 Aktien der X-Bank Corp. und 6.080 Aktien der Y-Bank Corp. vorgelegen.

16 Mit Einspruchsentscheidung vom 2.9.2021 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Die von den Klägern benannten zwei Aktienpakete seien zwar mit den jeweils im Jahr 1984 gültigen Kurswerten in folgender Höhe als Anfangsvermögen zu berücksichtigen:

X-Bank Corp.

x $ = y DM = z €

Y-Bank Corp.

x $ = y DM = z €.

17 Das bisher berücksichtigte Farmland sei allerdings nur mit dem Wert zum Einlagezeitpunkt (x €) und nicht mit dem bisher berücksichtigten Wert (ggg €) abzuziehen. Zum Zeitpunkt der Auflösung des Trusts habe das Farmland tatsächlich einen Wert von x € gehabt. Die Differenz abzüglich der zusätzlich berücksichtigten Aktien (z €) werde als zusätzliches Anfangsvermögen des Trusts Vater geschätzt, sodass es im Ergebnis nicht zu einer Verböserung komme.

 

18 Hiergegen haben die Kläger am 30.9.2021 Klage erhoben.

 

19 Zur Begründung führen sie aus, dass die Trusts nicht im Sinne von § 20 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2 EStGmit Vermögensmassen, Familienstiftungen und anderen Zweckvermögen des deutschen Rechts vergleichbar seien. Insbesondere seien die Trusts wirtschaftlich nicht selbstständig, weil an den Vater für dessen Lebenszeit laufende Bezüge zu zahlen gewesen seien. Dem deutschen Recht sei die Konzeption der Auflösung einer Stiftung aufgrund des Todes des Stifters vollkommen fremd. Außerdem solle eine Familienstiftung nach § 80 Abs. 2 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs mindestens für einen Zeitraum von zehn Jahren bestehen. Wäre der Vater der Klägerin kurz nach den Errichtungen der Trusts im Jahr 1984 gestorben, hätte sich eine deutlich kürzere Laufzeit ergeben. Vielmehr seien die Trusts mit einem Nießbrauch bzw. einer Testamentsvollstreckung vergleichbar. Ihr Zweck habe darin bestanden, die Erbfolge zu regeln und zu sichern. Die Trusts erfüllten auch nicht die Voraussetzungen des BFH-Urteils vom 5.11.1992 (I R 39/92, BStBl. II 1993, 388), weil das Vermögen und die Erträge nicht für einen bestimmten Zweck zu verwenden gewesen seien. Vielmehr hätten dem Vater die Erträge und den Kindern das Endvermögen zugestanden.

 

20 Auch seien die Bezüge aus der Auflösung der beiden Trusts nicht mit Gewinnausschüttungen vergleichbar. Vielmehr seien die laufenden Erträge an den Vater ausgeschüttet und durch Umschichtungen des vorhandenen Vermögens Erträge aus Wertsteigerungen generiert worden. Anders als bei Gewinnausschüttungen liege kein Beschluss eines Gesellschaftsorgans vor, sondern der Zeitpunkt hinge vom Tod einer Person ab, was bei Gewinnausschüttungen unüblich sei. Es gehe auch nicht um die Gestaltung einer Gewinnausschüttung, sondern um den Generationenübergang. Trusts seien auch nicht mit Familienstiftungen vergleichbar, da diese vom System her „unsterblich“ seien. Im Streitfall bestehe zudem die Besonderheit, dass – anders als bei der Verteilung des Liquidationsendvermögens einer anderen Körperschaft – kein Geld, sondern die vorhandenen Vermögenswerte verteilt worden seien.

 

21 Bei der Einführung des Verweises auf § 20 Abs. 1 Nr. 2 EStG in § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG, wonach nunmehr auch Liquidationsausschüttungen der Steuer unterworfen würden, solle es sich nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 28.2.2018 (VIII R 30/15, BFH/NV 2018, 857) nicht lediglich um eine Klarstellung handeln. Wenn dies richtig sei, habe der Gesetzgeber die Gesetzesänderung nicht hinreichend begründet und das Gesetz sei daher nicht rechtswirksam zustande gekommen.

 

22 Da die Trusts – anders als Kapitalgesellschaften – keine Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielten, greife der Gesetzeszweck des § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG, der Wertsteigerungen nur bei gewerblich tätigen Körperschaften erfassen wolle, nicht ein.

 

23 Zudem könne ein Vorgang, der von der Erbschaft- bzw. Schenkungsteuer erfasst werde, nicht mit einer Gewinnausschüttung wirtschaftlich vergleichbar sein. Ein Vorgang könne nicht zugleich als unentgeltlich und als entgeltlich gewertet werden.

 

24 Die Erfassung desselben Vorgangs mit zwei Steuerarten sei außerdem nicht verfassungsgemäß. Dies gelte unabhängig davon, dass im Hinblick auf den Trust Vater faktisch keine Erbschaftsteuer entstanden sei.

 

25 Die Doppelbesteuerung verstoße gegen Art. 25 Abs. 4 des Freundschaftsvertrags vom 29.10.1954 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika (BGBl. II 1956, 487). Dieser solle Zuzugshindernisse wie die der Klägerin als amerikanische Staatsangehörige von den USA nach Deutschland beseitigen.

 

26 Im Streitfall sei die Doppelbesteuerung dadurch zu beseitigen, dass keine Einkommensteuer auf den Vorgang zu erheben sei, denn § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG sei gegenüber der spezielleren Vorschrift des § 7 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG subsidiär.

 

27 Darüber hinaus stelle die Erweiterung des Besteuerungstatbestands auf ausländische Personenvereinigungen durch § 20 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2 EStG mit Gesetz vom 8.12.2010 eine unzulässige Rückwirkung dar. Bis zur Verkündung der Gesetzesänderung sei das Vertrauen in die Steuerfreiheit der Wertsteigerungen geschützt. Die Kläger verwiesen insoweit auf die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 7.7.2010 zur Erhöhung der Wesentlichkeitsgrenze in § 17 EStG und zur Verlängerung der Spekulationsfrist in § 23 EStG. Wegen des Rückwirkungsverbots dürften nur Wertsteigerungen ab dem 8.12.2010 erfasst werden. Da der Zeitpunkt der Bezüge vom Tod des Vaters abhängig gewesen sei, habe keine aktive Gestaltung vorgenommen werden können. Es habe eine hinreichend gefestigte Vermögensposition bestanden, da die Klägerin bereits mit Gründung der Trusts Ansprüche erworben habe, die lediglich erst mit dem Tod des Vaters fällig geworden seien.

 

28 Da sämtliche Wertpapiere des Trusts Großvater bis zum 31.12.2008 und damit vor Einführung der Abgeltungsteuer erworben worden seien, könne insoweit gar keine Steuerpflicht entstehen. Beim Trust Vater gelte dies für vier der sieben Wertpapierpositionen. Die übrigen drei seien zwar nach dem 31.12.2008, aber vor dem 8.12.2010 erworben worden, sodass sich lediglich eine anteilige Steuerpflicht ergeben könne. Dementsprechend sei allenfalls ein Betrag von xxx € steuerpflichtig.

 

29 Da nach dem US-Steuerrecht für Trusts – im Gegensatz zum Dotationskapital einer deutschen Stiftung – keine Verpflichtung bestehe, das Anfangsvermögen zu ermitteln, könne nachträglich nicht festgestellt werden, in welcher Höhe von den Trust-Errichtern im Jahr 1984 Vermögensgegenstände eingelegt worden seien. Tatsächlich lägen die Anlagen zu den Trusterrichtungen, aus denen sich die Aufstellungen der eingelegten Vermögensgegenstände ergaben, nicht mehr vor. Selbst bei erhöhter Mitwirkungspflicht wegen des Auslandssachverhalts nach § 90 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) sei wegen der erstmals im Jahr 2010 eingeführten Steuerpflicht der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten.

 

30 Auf Hinweis des Beklagten, dass – sollten die streitigen Einkünfte nicht oder nur teilweise von § 20Abs. 1 Nr. 9 EStG erfasst sein – der aus der ebenfalls im Jahr 2016 erfolgten Veräußerung der Wertpapiere erzielte Verlust neu zu berechnen sei, führen die Kläger aus, dass sich dieser Verlust im Fall des (teilweisen) Klageerfolgs entsprechend reduziere bzw. gänzlich entfalle. Insoweit wird auf die von den Klägern eingereichte Excel-Tabelle (Bl. 322 ff. GA) Bezug genommen. Dementsprechend komme maximal eine Reduzierung der Einkünfte aus Kapitalvermögen um die Differenz des bisher vom Beklagten angesetzten Betrages (kkk €) und dem berücksichtigten Veräußerungsverlust (vvv €), also um xxx € in Betracht.

 

31 Die Kläger beantragen,

den Einkommensteuerbescheid für 2016 vom 20.5.2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 2.9.2021 dahingehend zu ändern, dass die Einkommensteuer um xxx € gemindert wird,

hilfsweise, die Revision zuzulassen.

 

32 Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

hilfsweise, die Revision zuzulassen.

 

33 Er führt zur Begründung aus, dass die beiden Trusts wirtschaftlich selbstständig seien, denn die Gründer hätten diesen nur noch Vermögen hinzufügen, aber nicht entziehen dürfen. Auch die Begünstigten hätten zu Lebzeiten des Vaters nicht über das Vermögen der Trusts verfügen können. Eine Vergleichbarkeit mit deutschem Stiftungsrecht sei nicht erforderlich. Vielmehr unterlägen Trusts als Vermögensmassen nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) der Körperschaftsteuer, wenn sich ihre Geschäftsleitung im Inland befinde. Das Tatbestandsmerkmal der wirtschaftlichen Vergleichbarkeit mit Gewinnausschüttungen sei weit auszulegen (FG Hamburg, Urteil vom 20.8.2021 – 6 K 196/20, Revision beim BFH unter VIII R 25/21 anhängig). Im Übrigen greife § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG nicht nur für gewerbliche Gewinne der Körperschaften, sondern für sämtliche Einkünfte ein. Dies sei auch von der Gesetzesbegründung umfasst.

 

34 Eine unzulässige Doppelbesteuerung mit Einkommensteuer und Schenkungsteuer liege nicht vor. Die gesetzlichen Tatbestände schlössen sich nicht gegenseitig aus. Dass die Auszahlungen der Trusts zugleich auch nach § 7 Abs. 1 ErbStG steuerpflichtig seien, führe auch nicht zu einer verfassungswidrigen Doppelbesteuerung. Da bei einer gleichzeitigen Belastung mit Erbschaftsteuer das Gesetz in § 35b EStG sogar ausdrücklich eine Steuerermäßigung vorsehe, nehme der Gesetzgeber eine Doppelerfassung grundsätzlich billigend in Kauf. Diese Vorschrift sei im Streitfall allerdings nicht anzuwenden, da der Trust Großvater der Schenkungsteuer und nicht der Erbschaftsteuer unterworfen worden sei. Eine Doppelbelastung sei auch von der BFH-Rechtsprechung anerkannt, weil die Bundesrepublik Deutschland über kein einheitliches Steuersystem verfüge. Der Beklagte verweist insoweit auf das zur Körperschaftsteuer ergangene BFH-Urteil vom 6.12.2016 (I R 50/16, BStBl. II 2017, 324), das auch auf die Einkommensteuer übertragbar sei, sowie auf das BFH-Urteil vom 25.6.2021 (II R 31/19, BStBl. II 2022, 497). Nach der Rechtsprechung des BVerfG ergebe sich aus der Doppelbelastung nicht zwingend eine verfassungswidrige Übermaßbesteuerung (Nichtannahmebeschluss vom 7.4.2015 1 BvR 1432/10). Vielmehr habe der Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum. Im Streitfall liege die Steuerbelastung mit beiden Steuerarten insgesamt lediglich bei ca. 36 % und damit unterhalb des regulären progressiven Einkommensteuertarifs. Hinsichtlich des Trusts Vater liege bereits faktisch keine Doppelbelastung vor.

 

35 Da keine höhere Steuerbelastung als bei anderen Staatsangehörigen bestehe, verstoße die Doppelbesteuerung auch nicht gegen den USA-Freundschaftsvertrag von 1954.

  • 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG sei in seiner für das Streitjahr 2016 gültigen Fassung anzuwenden, da die Gesetzesänderungen durch die Jahressteuergesetze 2007 (Verweis auf Abs. 1 Nr. 2) und 2010 (Einbeziehung ausländischer Vermögensmassen) wirksam zustande gekommen seien. Da die Gesetzesänderungen vor dem Streitjahr 2016 vorgenommen worden seien, läge keine echte Rückwirkung vor. Die Anwendung von § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG in seiner im Streitjahr 2016 gültigen Fassung führe auch nicht zu einer unzulässigen unechten Rückwirkung. Die Entscheidungen des BVerfG vom 7.7.2010 seien nicht auf den Streitfall übertragbar. Die Klägerin habe bis zum Tod ihres Vaters keine konkret verfestigte Vermögensposition innegehabt. Die Wertsteigerungen seien im Zeitpunkt der Gesetzesänderungen 2007 und 2010 weder realisiert oder verfestigt gewesen noch seien Leistungen geflossen. Vielmehr habe lediglich eine Erwartung bestanden, nach dem Tod des Vaters anteilig die Wirtschaftsgüter des Trusts zu erwerben. Die bloße Möglichkeit, Gewinne später steuerfrei vereinnahmen zu können, stelle keine konkret verfestigte Vermögensposition dar. Vor dem Tod des Vaters habe die Klägerin keine Verfügungsbefugnis über das Vermögen gehabt. Wäre sie vor ihrem Vater verstorben, hätten ihre Kinder gemäß den Regelungen der Trusts die Kapitaleinnahmen nach § 20Abs. 1 Nr. 9 EStG erzielt. Damit habe die Klägerin nur eine Anwartschaft auf das Vermögen der Trusts gehabt. Dies reiche für die vom BVerfG geforderte tatsächliche Verfügungsmacht über die einzelnen Wirtschaftsgüter nicht aus.

 

36 Selbst wenn man von einer konkret verfestigten Vermögensposition ausginge, lägen hinreichende Rechtfertigungsgründe vor. § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG diene der Beseitigung der ungleichen Besteuerung von Kapitalgesellschaften und deren Anteilseignern einerseits und sonstigen steuerpflichtigen Körperschaften andererseits. Einer umfassenden Gleichbehandlung der Leistungen von Kapitalgesellschaften und anderen Körperschaften diene der Verweis auf § 20 Abs. 1 Nr. 2 EStG. Mit der Einbeziehung ausländischer Körperschaften durch § 20 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2 EStG habe der Gesetzgeber eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung zu inländischen Körperschaften beseitigt. Die Einfügung sei erforderlich gewesen, da die Beschränkung auf Leistungen inländischer Körperschaften steuersystematisch nicht gerechtfertigt gewesen sei. Zudem seien bereits seit Mitte der 1980er Jahre Destinatärszahlungen von Stiftungen nach § 22 EStG steuerpflichtig gewesen. Dies habe zwar lediglich für wiederkehrende Bezüge gegolten. Die Einbeziehung von anderen wirtschaftlich vergleichbaren Zahlungen stelle einen hinreichend gewichtigen Rechtfertigungsgrund für eine etwaige Rückwirkung dar. Im Hinblick auf die Rückwirkungsproblematik dürften Gewinnausschüttungen nicht anders behandelt werden als die Verteilung des Endvermögens. Der Beklagte weist ferner auf das zur Einbeziehung von Veräußerungsgewinnen von Personengesellschaftsanteilen in die gewerbesteuerliche Bemessungsgrundlage durch § 7 Satz 2 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) ergangene BVerfG-Urteil vom 10.4.2018 (1 BvR 1236/11) hin, in dem keine Aufteilung der stillen Reserven auf Zeiträume vor und nach Gesetzesverkündung angenommen worden sei. Schließlich habe auch das Hessische Finanzgericht (FG) im Gerichtsbescheid vom 25.5.2021 (10 K 707/20, EFG 2021, 1540) keine verfassungsrechtlichen Zweifel an § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG geäußert.

 

37 Hinsichtlich der Höhe der Kapitalerträge führt der Beklagte aus, dass § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStGentsprechend anzuwenden sei, wonach die Rückgewähr von Einlagen nicht erfasst werden solle. Die Höhe der Einlagen könne im Streitfall nur geschätzt werden, da die entsprechenden Anlagen zu den beiden Trustverträgen nicht vorlägen. Die erhöhte Mitwirkungspflicht nach § 90 Abs. 2 AO sei dabei zu beachten. Dies sei der Klägerin zumutbar, zumal sie die beiden Trusts zusammen mit ihrer Schwester verwaltet habe. Die weiteren ungeklärten Einlagen sowie die Einnahmen aus Kapitalvermögen beruhten auf der Reinvestition der Dividenden sowie auf Wertsteigerungen der Wertpapiere. Es sei unklar, ob dem Vater tatsächlich sämtliche Erträge der Trusts ausgezahlt worden seien. Der Beklagte schließt aus dem Umstand, dass der Vater der Klägerin seiner Frau und seinen Kindern ein Vermögen von mehr als xxxx US-$ hinterlassen habe, dass keine Auszahlung aus dem Trust Vater während der Laufzeit an ihn erfolgt sei, da dies für seine Lebensführung nicht erforderlich gewesen sei.

 

38 Die vorliegend streitigen Einkünfte fielen schließlich nicht unter die Übergangsregelungen zur Abgeltungsteuer, da die Klägerin sie erst im Jahr 2016 von den Trusts bezogen habe.

 

39 Am 27.10.2022 hat ein Erörterungstermin vor dem Berichterstatter und am 23.3.2023 hat eine mündliche Verhandlung vor dem Senat stattgefunden. Auf die Sitzungsprotokolle wird Bezug genommen.

 

40 Die Beteiligten haben unstreitig gestellt, dass für den Fall einer verfassungskonformen Auslegung des Gesetzes dahingehend, dass nur Erträge bzw. Wertsteigerungen erfasst werden dürfen, die nach dem 8.12.2010 entstanden sind, der bislang der Besteuerung unterworfene Betrag von kkk € in der Weise aufzuteilen wäre, dass ein Teilbetrag von www € steuerpflichtig und ein Teilbetrag von fff € steuerfrei wäre. Wegen der Berechnung wird auf die Anlage 5 zur Klageschrift (Bl. 80 der Gerichtsakte) bzw. auf die von der Klägerseite am 13.12.2022 (Bl. 276 der elektronischen Gerichtsakte) per Link übersandte Excel-Tabelle (2. Reiter) Bezug genommen. Zwischen den Beteiligten ist ferner unstreitig, dass im Fall einer derartigen verfassungskonformen Auslegung die berücksichtigten Veräußerungsverluste in Höhe von vvv € weiterhin anzuerkennen wären.

 

41 Im Übrigen wird auf die Steuerakten des Beklagten, die Gerichtsakte sowie auf die Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen.

 

 

Gründe:

42 I. Die zulässige Klage ist teilweise begründet.

 

43Der Einkommensteuerbescheid für 2016 vom 20.5.2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 2.9.2021 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung, FGO), soweit der Beklagte Auskehrungen der beiden Trusts der Besteuerung unterworfen hat, die auf Wertsteigerungen und Erträgen bis zum 8.12.2010 beruhen.

 

44Die Voraussetzungen des § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG in seiner für das Streitjahr 2016 gültigen Fassung liegen im Streitfall dem Grunde nach vor (dazu unter 1.). Die Vorschrift verstößt weder gegen den US-Freundschaftsvertrag (dazu unter 2.) noch gegen ein Verbot der Doppelbesteuerung mit Erbschaft- bzw. Schenkungsteuer (dazu unter 3.), ist jedoch verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass als steuerpflichtige Bezüge aus der Auflösung nur solche Wertsteigerungen zu erfassen sind, die ab dem 8.12.2010 entstanden sind (dazu unter 4.).

 

45 1. Die Voraussetzungen des § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG liegen dem Grunde nach vor. Diese Vorschrift hatte in der im Streitjahr gültigen Fassung folgenden Wortlaut:

„Zu den Einkünften aus Kapitalvermögen gehören Einnahmen aus Leistungen einer nicht von der Körperschaftsteuer befreiten Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse im Sinne des § 1 Absatz 1 Nummer 3 bis 5 des Körperschaftsteuergesetzes, die Gewinnausschüttungen im Sinne der Nummer 1 wirtschaftlich vergleichbar sind, soweit sie nicht bereits zu den Einnahmen im Sinne der Nummer 1 gehören; Nummer 1 Satz 2, 3 und Nummer 2 gelten entsprechend. Satz 1 ist auf Leistungen von vergleichbaren Körperschaften, Personenvereinigungen oder Vermögensmassen, die weder Sitz noch Geschäftsleitung im Inland haben, entsprechend anzuwenden.“

 

46 a) Die beiden Trusts sind im Sinne von § 20 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2 EStG mit inländischen Körperschaften, Personenvereinigungen oder Vermögensmassen vergleichbar.

 

47 aa) Maßgeblich für die Vergleichbarkeit in diesem Sinne ist der Typenvergleich. Danach müssen ausländische Gebilde ungeachtet einer ggf. nach ausländischem Recht bestehenden Rechtspersönlichkeit einem deutschen Körperschaftsteuersubjekt entsprechen (vgl. BFH-Beschluss vom 18.12.2019 – I R 33/17, BFH/NV 2021, 157). Mit Urteil vom 25.6.2021 (II R 31/19, BStBl. II 2022, 497) hat der BFH zur erbschaftsteuerlichen Behandlung eines US-Trusts gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG entschieden, dass die für ausländische Stiftungen entwickelten Grundsätze gleichermaßen für anglo-amerikanisch Trusts gelten. Entscheidend ist jeweils die konkrete Ausgestaltung (vgl. Rengers in Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, § 1 KStG, Rn. 145a).

 

48 bb) Bei einem Trust gibt es nach dem BFH-Urteil vom 5.11.1992 (I R 39/92, BStBl. II 1993, 388) für die Zurechnung des Vermögens und der daraus resultierenden Einkünfte grundsätzlich drei Möglichkeiten. Eine Zurechnung kann zum Gründer, zu den Begünstigten oder zum Trusts selbst erfolgen. Maßgeblich für die Beurteilung sind die Weisungsbefugnisse und die Stellung als wirtschaftlicher Eigentümer. Ist der Trust Zwischenerwerber, ist für Zwecke der Erbschaftsteuer der Vermögenserwerb aufschiebend bedingt und wird unmittelbar vom Gründer an den Anfallsberechtigten angenommen. Die Einkünfte erzielt dann der Trust selbst. Diese Grundsätze gelten auch für den Bereich der Ertragsteuern (BFH-Urteil vom 20.7.1971 – VIII 24/65, BStBl. II 1972, 170). Dementsprechend kann ein Trust grundsätzlich nach deutschen Besteuerungsmaßstäben entweder als intransparent oder als transparent behandelt werden (Tischendorf, IStR 2022, 445, 450), wobei bei transparenter Ausgestaltung der weit gefasste Wortlaut des § 20 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2 EStG erfüllt ist (so Werder/Wystrcil, BB 2015, 412, 418, die dann aber Zweifel an einer Vergleichbarkeit der Leistungen mit Gewinnausschüttungen äußern).

 

49 cc) Bei Übertragung dieser Rechtsgrundsätze auf den Streitfall sind das Vermögen und die Einkünfte während der Dauer des Bestehens der beiden Trusts den Trusts zuzurechnen. Eine Zurechnung auf die beiden Gründer (Großvater bzw. Vater der Klägerin) kommt nicht in Betracht, da diese nach den Vereinbarungen keinerlei Verfügungs- und Verwaltungsbefugnisse mehr über das übertragene Vermögen hatten. Sie konnten keinen Einfluss auf die Verwaltung nehmen und die Vermögensübertragungen auch nicht mehr rückgängig machen (sog. „irrevocable Trusts“). Eine Zurechnung auf die Begünstigten (Klägerin und Geschwister bzw. deren Nachkommen) scheidet ebenfalls aus, weil diese erst nach dem Tod des Vaters das dann vorhandene Vermögen übertragen bekommen sollten. Während der Dauer des Bestehens der beiden Trusts hatten sie keinen Zugriff auf das Vermögen und auch nicht auf die Erträge. Dementsprechend muss von einer Verselbstständigung der Trusts ausgegangen werden.

 

50 dd) Nach deutschem Verständnis hätten die Trusts auch zunächst die laufenden Erträge erzielt. Soweit diese an den Vater ausgezahlt wurden, hätte er diese – persönliche Steuerpflicht unterstellt – im Zuflusszeitpunkt versteuern müssen. Eine unmittelbare Zurechnung der laufenden Erträge zum Vater der Klägerin kommt nicht in Betracht, da ihm lediglich die Nettoerträge zustanden und jede Auszahlung eine Ermessensentscheidung der Trustees voraussetzte. Es erfolgte gerade keine unmittelbare Weiterleitung der Erträge an den Vater. Beim Trust Großvater setzte eine Auszahlung an den Vater zusätzlich eine Erforderlichkeitsprüfung für den Unterhalt und die Unterstützung des Vaters voraus.

 

51 ee) Die hiergegen von den Klägern erhobenen Einwendungen greifen nicht durch. Soweit sie vortragen, dass inländische Körperschaften typischerweise nicht mit dem Tod einer Person endeten und das Stiftungsrecht bestimmte Laufzeiten vorsehe, betrifft dies generell die Vergleichbarkeit von Trusts mit inländischen körperschaftsteuerpflichtigen Subjekten. Dies hat jedoch die Rechtsprechung – wie dargelegt – nicht dazu veranlasst, Trusts generell als nicht vergleichbar anzusehen. Auch der Zweck der beiden Trusts, den Generationenübergang zu regeln und zu sichern, spricht nicht gegen eine Behandlung als intransparentes und damit als mit inländischen Körperschaftsteuersubjekten vergleichbares Gebilde. Wenn für die Zweckerreichung ein „irrevocable trust“ gewählt wird, der nach inländischen Maßstäben als wirtschaftlich selbstständig anzusehen ist, greifen hierfür auch die entsprechenden inländischen Regelungen ein.

 

52 b) Die von der Klägerin im Rahmen der Auflösung der beiden Trusts erhaltenen Bezüge fallen dem Grunde nach auch unter § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG, da sie mit der Verteilung des Endvermögens nach Auflösung einer Körperschaft vergleichbar sind. Da § 20 Abs. 1 Nr. 9 Satz 1 EStG ausdrücklich auf § 20 Abs. 1 Nr. 2 EStG verweist, müssen die Auszahlungen entweder mit einer Gewinnausschüttung oder mit Bezügen, die nach der Auflösung einer Körperschaft anfallen und die nicht in der Rückzahlung von Nennkapital oder Rückzahlungen aus dem steuerlichen Eigenkapitalkonto bestehen, vergleichbar sein. Unter welchen Voraussetzungen eine derartige Vergleichbarkeit vorliegt, ist bislang nicht endgültig geklärt.

 

53 aa) Die Gesetzesbegründung legt ein weites Verständnis der Vergleichbarkeit nahe. § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG wurde durch das Gesetz zur Senkung der Steuersätze und zur Reform der Unternehmensbesteuerung (StSenkG) vom 23.10.2000 (BGBl. I 2000, 433) mit dem Zweck eingeführt, eine Gleichbehandlung der hinter den dort genannten Vermögensmassen stehenden Personen mit Anteilseignern von Kapitalgesellschaften zu erreichen, was nach dem Systemwechsel vom Anrechnungsverfahren auf das Halbeinkünfteverfahren geboten erschien, da der abgesenkte Körperschaftsteuersatz für alle Körperschaften gleichermaßen gilt (BR-Drs. 90/00, S.161 f.). Die ausdrückliche Einfügung des Erfordernisses der wirtschaftlichen Vergleichbarkeit mit Gewinnausschüttungen im Sinne von § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG durch das Gesetz zur Fortentwicklung des Unternehmenssteuerrechts (UntStFG) vom 20.12.2001 (BGBl. I 2001, 3858) sollte nur eine Klarstellung und keine Erweiterung des Steuertatbestands sein. Eine mit einer Gewinnausschüttung vergleichbare Leistung im Sinne von § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG soll nach der Gesetzesbegründung beispielsweise dann nicht vorliegen, wenn ein nicht von der Körperschaftsteuer befreiter Verein in Erfüllung seiner allgemeinen satzungsmäßigen Aufgaben Leistungen an Mitglieder auf Grund von Beiträgen im Sinne von § 8 Abs. 5 KStG erbringt, die von den Mitgliedern lediglich in ihrer Eigenschaft als Mitglieder nach der Satzung zu entrichten sind. Diese Leistungen sind nicht mit einer Gewinnausschüttung vergleichbar, da sie allgemein mit den Mitgliedsbeiträgen abgegolten sind (BT-Drs. 14/6882, S. 35).

 

54 bb) Der BFH geht unter Bezugnahme auf die Gesetzesbegründung zum UntStFG vom 20.12.2001 (BT-Drs. 14/6882, S. 35) davon aus, dass nur solche Leistungen nicht von § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStGerfasst sein sollen, denen im weitesten Sinne eine Gegenleistung des Leistungsempfängers (z.B. in Form eines Mitgliedsbeitrags bei einem Verein) gegenübersteht. Demgegenüber spielt es keine Rolle, ob der Leistungsempfänger am Vermögen beteiligt ist, sodass es unbeachtlich ist, ob die Leistungsempfänger (im dortigen Streitfall Destinatäre einer Stiftung) rechtlich die Stellung von Anteilseignern innehaben; ausschlaggebend ist, ob ihre Stellung wirtschaftlich derjenigen eines Anteilseigners entspricht. Jedenfalls dann, wenn die Leistungsempfänger – ähnlich wie Gesellschafter in der Gesellschafterversammlung – unmittelbar oder mittelbar Einfluss auf das Ausschüttungsverhalten der Stiftung nehmen können, sind die Leistungen wirtschaftlich mit Gewinnausschüttungen vergleichbar (BFH-Urteil vom 3.11.2010 – I R 98/09, BStBl. II 2011, 417).

 

55 cc) In der Literatur wird aus dem angeführten BFH-Urteil vom 3.11.2010 (I R 98/09, BStBl. II 2011, 417) teilweise gefolgert, dass Zahlungen an die Destinatäre einer Stiftung nur dann Leistungen darstellen, die mit Gewinnausschüttungen im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG wirtschaftlich vergleichbar sind, wenn die Destinatäre unmittelbar oder mittelbar Einfluss auf das Ausschüttungsverhalten der Stiftung nehmen können (Bleschick in: Kirchhof/Seer, EStG, § 20, Rn. 61; Jochum in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 20, Rn. C/9-14; Ratschow in Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, § 20 EStG, Rn. 338a). Zweifel an einer Vergleichbarkeit äußern auch Werder/Wystrcil (BB 2015, 412, 418) im Hinblick auf die bei Trusts fehlende mitgliedschaftliche, kapitalmäßige Beteiligung.

 

56dd) Demgegenüber legt das FG Hamburg im Urteil vom 20.8.2021 (6 K 196/20, EFG 2022, 241; Rev. BFH VIII R 25/21) das Tatbestandsmerkmal der wirtschaftlichen Vergleichbarkeit weit aus. Der Gesetzeswortlaut verlange keine Einflussnahme auf die Zahlung. Bezogen auf eine Stiftung solle nach der Intention des Gesetzgebers die Verteilung der im Rahmen des Stiftungszwecks erwirtschafteten Überschüsse an die im Stiftungszweck benannten Begünstigten als Einkünfte aus Kapitalvermögen zu erfassen sein. Insofern könne § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG nicht nur auf diejenigen beschränkt bleiben, die die Stiftung errichtet haben oder als Organe der Stiftung fungieren. Anderenfalls könne es zu sogenannten „weißen Einkünften“ kommen, was die Gleichstellung von Stiftungen mit Kapitalgesellschaften konterkarieren würde. Zuwendungen, die der Satzung entsprächen, seien nicht der Schenkungsteuer, sondern der Einkommensteuer zu unterwerfen.

 

57 Ähnlich argumentiert auch das Hessische FG im rechtskräftigen Gerichtsbescheid vom 25.5.2021 (10 K 707/20, EFG 2021, 1540), wonach es für die Frage, ob (Einmal-)Zahlungen einer ausländischen Familienstiftung mit Gewinnausschüttungen vergleichbar sind, ausschließlich darauf ankomme, ob der Auskehrung eine Gegenleistung des Begünstigten gegenüberstand.

 

58ee) Im vorliegenden Fall geht es allerdings nicht um eine Vergleichbarkeit mit Gewinnausschüttungen, sondern um eine solche mit Auskehrungen des Endvermögens nach Auflösung. Eine derartige Vergleichbarkeit liegt nach Auffassung des Senats bei den beiden Trusts vor.

(1) § 20 Abs. 1 Nr. 9 Satz 1 EStG wurde erst mit dem mit dem Jahressteuergesetz (JStG) 2007 vom 13.12.2006 (BGBl. I 2006, 2878) eingefügten Verweis auf Abs. 1 Nr. 2 dahingehend erweitert, dass zusätzlich die Verteilung des Endvermögens bei Auflösung erfasst wird. Laut Gesetzesbegründung seien diese mit Gewinnausschüttungen wirtschaftlich vergleichbar und es solle sich bei dem Verweis lediglich um eine Klarstellung handeln (BR-Drs. 622/06, S. 81 und BT-Drs. 16/2712, S. 49). Dass der BFH der Gesetzesbegründung im Hinblick auf die Frage der Klarstellung nicht gefolgt ist mit der Folge, dass im Urteil vom 28.2.2018 im dortigen Streitjahr 2005 die Auskehrung des Liquidationsendvermögens einer Stiftung nicht steuerbar war (VIII R 30/15, BFH/NV 2018), ist im Streitfall, der das Jahr 2016 betrifft, nicht von Bedeutung. Im Übrigen hat die fehlerhafte Gesetzesbegründung keine Auswirkungen auf die Wirksamkeit des formell ordnungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes.

 

59(2) Die Auskehrung von Vermögen der Trusts nach deren Auflösung ist unabhängig davon, ob die Begünstigten an der Auflösung mitwirken oder nicht, mit der Auskehrung von Liquidationsguthaben einer Kapitalgesellschaft vergleichbar. Die Liquidation einer Körperschaft setzt deren Auflösung voraus, nach der sie in die Liquidationsphase eintritt. Als Auflösung der Körperschaft ist eine solche im handelsrechtlichen Sinne gemäß §§ 262, 289 des Aktiengesetzes (AktG), § 60 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) zu verstehen. Eine Körperschaft kann kraft Gesetzes oder durch Gesellschafterbeschluss aufgelöst werden (Buge in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 20 EStG, Anm. 123; Bleschick in: Kirchhof/Seer, EStG, § 20, Rn. 58). Danach kann eine Auflösung nicht nur durch Beschluss der Gesellschafter erfolgen (Auflösung der GmbH nach § 60 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG durch Gesellschafterbeschluss; Auflösung der AG durch Beschluss der Hauptversammlung, § 262 Abs. 1 Nr. 2 AktG). Vielmehr kennt das Gesetz auch Auflösungsgründe, die deren Mitwirkung nicht erfordern, z.B. Zeitablauf (§ 60 Abs. 1 Nr. 1 GmbHG, § 262 Abs. 1 Nr. 1 AktG), gerichtliches Urteil (§ 60 Abs. 1 Nr. 3 GmbHG) oder Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§ 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG, § 262 Abs. 1 Nr. 3 AktG). An dem Umstand, dass bei den beiden streitbefangenen Trusts eine Mitwirkung der Begünstigten für die Auskehrung des Vermögens nicht erforderlich war, weil bereits in den Gründungsurkunden geregelt war, dass diese mit dem Tod des Vaters der Klägerin aufzulösen waren, kann danach eine Vergleichbarkeit mit der Auskehrung von Liquidationsguthaben bei Kapitalgesellschaften nicht scheitern.

 

60 (3) Darüber hinaus sind die von der Klägerin erhaltenen Bezüge auch wirtschaftlich mit Auskehrungen von Liquidationsguthaben vergleichbar. Bei den Begünstigten kommt das an, was die Trusts aus den eingelegten Vermögenswerten erwirtschaftet haben, sei es durch Wertsteigerungen oder durch Erträge. Das Anfangsvermögen (dessen Ermittlung sich im Streitfall als schwierig erweist) wird abgezogen, da die Rückzahlung von Stammkapital bzw. aus dem steuerlichen Einlagekonto auch bei Kapitalgesellschaften nicht zu versteuern ist. Vor diesem Hintergrund der wirtschaftlichen Vergleichbarkeit hält es der Senat – entgegen der Auffassung der Kläger – auch nicht für entscheidungserheblich, dass das Vermögen der Trusts an die Begünstigten verteilt wurde und nicht vorher eine Verwertung stattgefunden hat, nach der lediglich Geld für eine Verteilung zur Verfügung gestanden hätte.

 

61c) Dass die Trusts selbst nicht gewerblich tätig waren, führt – entgegen der Auffassung der Kläger – nicht zum Ausschluss des Tatbestands des § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG. Dem Gesetzeswortlaut ist eine derartige Einschränkung nicht zu entnehmen. Auch die Gesetzessystematik lässt eine Unterscheidung der Bezüge nach der Einkunftsart der Körperschaft nicht zu. Vielmehr verweist § 8 Abs. 1 Satz 1 KStG hinsichtlich der Ermittlung des Einkommens grundsätzlich auf die Vorschriften des EStG. Daraus folgt, dass auch die Vorschriften des EStG über die Ermittlung der Überschusseinkünfte dem Grunde nach anzuwenden sind, wenn unbeschränkt Körperschaftsteuerpflichtige im Sinne des § 1Abs. 1 Nr. 3 bis 6 KStG Überschusseinkünfte (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 EStG) erzielen (Pfirrmann in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 8 KStG Anm. 22). Dementsprechend wird für die Ebene der Besteuerung der hinter der Körperschaft stehenden Personen nach § 20 EStG ebenfalls grundsätzlich keine Unterscheidung dahingehend getroffen, welche Einkunftsart die Körperschaft erzielt hat. Dass § 8 Abs. 2 KStG für bestimmte Körperschaftsteuersubjekte eine Fiktion gewerblicher Einkünfte vornimmt, ändert daran nichts.

 

62d) Schließlich führt der Umstand, dass der Vermögenserwerb bei Auflösung eines Trusts bereits vom Tatbestand des § 7 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG als unentgeltlicher Vorgang erfasst wird, nicht zu einem tatbestandlichen Ausschluss des § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG. Ein derartiger Ausschluss ist gesetzlich nicht vorgesehen und wird vielmehr vom Gesetzgeber bewusst in Kauf genommen (vgl. BFH-Urteile vom 25.6.2021 – II R 31/19, BStBl. II 2022, 497 und II R 32/19, BFH/NV 2022, 595).

  1. § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG in der für das Streitjahr 2016 gültigen Fassung verstößt nicht gegen Art. 25 Abs. 4 des Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrags zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika vom 29.10.1954 (BGBl. II 1956, 487). Diese Regelung definiert den Begriff der „Meistbegünstigung“ und regelt, dass u.a. Staatsangehörige und Gesellschaften des einen Staates im anderen Staat nicht weniger günstig behandelt werden dürfen als solche irgendeines dritten Landes. Es ist nicht ersichtlich, inwieweit § 20 Abs. 1 Nr. 9EStG hiergegen verstoßen soll. Die Vorschrift behandelt vielmehr alle Gesellschaften und deren Anteilseigner unabhängig vom Sitz der Gesellschaft und von der Staatsangehörigkeit des Gesellschafters gleich.

 

63 3. Gegen die Anwendung von § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG in der für das Streitjahr 2016 gültigen Fassung bestehen mit Blick auf die Doppelbelastung mit Erbschaft- bzw. Schenkungsteuer nach § 7 Abs. 1Nr. 9 ErbStG einerseits und Einkommensteuer anderseits keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

 

64 a) Eine Doppelbelastung beider Steuerarten ist nach der BFH-Rechtsprechung unbedenklich, wie sich an der Existenz der Vorschrift des § 35b EStG zeigt. Es gibt keinen Verfassungsgrundsatz des Inhalts, dass alle Steuern aufeinander abgestimmt und dass Lücken sowie eine mehrfache Besteuerung des nämlichen Sachverhalts vermieden werden müssten. Kommt es zu Doppelbelastungen bei folgerichtiger Ausgestaltung jeder Einzelsteuer, ist das unvermeidlich und nicht verfassungswidrig. Der Gesetzgeber hat insoweit konsequent die Doppelbelastung durch Schenkungsteuer und Einkommensteuer einschließlich der damit verbundenen Härten grundsätzlich in Kauf genommen. Dementsprechend hat der BFH mit Urteilen vom 25.6.2021 (II R 31/19, BStBl. II 2022, 497 und II R 32/19, BFH/NV 2022, 595 jeweils m.w.N.) zur erbschaftsteuerlichen Behandlung anglo-amerikanischer Trusts gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG entschieden, dass keine Bedenken gegen die Doppelbesteuerung mit beiden Steuerarten bestehen. Der Senat schließt sich der aus seiner Sicht überzeugenden Begründung dieser BFH-Rechtsprechung an und folgt deshalb nicht der hiergegen in der Literatur geäußerten Kritik (Tischendorf, IStR 2022, 489, 491 ff.).

 

65b) Im Streitfall kommt hinzu, dass auch keine Übermaßbesteuerung erkennbar ist. Der Trust Vater wurde durch den Freistellungsbescheid des Finanzamts N-Stadt vom 9.6.2017 vollständig von der Erbschaft- bzw. Schenkungsteuer befreit. Die Auskehrungen des Trusts Großvater an die Klägerin wurden (nach Abzug des Freibetrags von 400.000 €) mit 15 % der Schenkungsteuer und (nach Abzug des – geschätzten – Anfangsvermögens) dem Einkommensteuersatz von 25 % unterworfen. Damit verblieben der Klägerin nach Steuern noch mehr als 60 % der Auskehrungen des Trusts Großvater.

  1. § 20 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2 i.V.m. Satz 1, 2. Halbs. i.V.m. Nr. 2 Satz 2 EStG verstößt jedoch gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot, soweit Wertsteigerungen aus Trusts erfasst werden, die bis zum Zeitpunkt der Verkündung des JStG 2010 am 8.12.2010 (BGBl. I 2010, 1768) entstanden sind (dazu unter a). Die Verfassungswidrigkeit ist durch verfassungskonforme Auslegung des Gesetzes zu beseitigen (dazu unter b).
  2. a) § 20 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2 i.V.m. Satz 1 2. Halbs. i.V.m. Nr. 2 Satz 2 EStG ist in seiner Anwendung auf den Streitfall im Hinblick auf bis zum 8.12.2010 aufgelaufene Wertsteigerungen und Erträge verfassungswidrig.

 

66 aa) Eine echte Rückwirkung liegt nicht vor. Das Grundgesetz (GG) normiert ein ausdrückliches Rückwirkungsverbot nur für das Strafrecht (Art. 103 Abs. 2 GG). Außerhalb des Strafrechts beruht das grundsätzliche Verbot rückwirkender belastender Gesetze auf den grundrechtlich geschützten Interessen der Betroffenen sowie den Prinzipien der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes (Art. 2Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG). Es schützt das Vertrauen in die Verlässlichkeit und Berechenbarkeit der unter der Geltung des Grundgesetzes geschaffenen Rechtsordnung und der auf ihrer Grundlage erworbenen Rechte. Wenn der Gesetzgeber die Rechtsfolge eines der Vergangenheit zugehörigen Verhaltens nachträglich belastend ändert, bedarf dies einer besonderen Rechtfertigung vor dem Rechtsstaatsprinzip und den Grundrechten des Grundgesetzes, unter deren Schutz Sachverhalte „ins Werk gesetzt“ worden sind. Es würde den Einzelnen in seiner Freiheit erheblich gefährden, dürfte die öffentliche Gewalt an sein Verhalten oder an ihn betreffende Umstände ohne Weiteres im Nachhinein belastendere Rechtsfolgen knüpfen, als sie zum Zeitpunkt seines rechtserheblichen Verhaltens galten. Eine Rechtsnorm entfaltet echte Rückwirkung, wenn ihre Rechtsfolge mit belastender Wirkung schon für vor dem Zeitpunkt ihrer Verkündung bereits abgeschlossene Tatbestände gelten soll „Rückbewirkung von Rechtsfolgen“). Das ist grundsätzlich verfassungsrechtlich unzulässig. Die maßgebliche Rechtsfolge steuerrechtlicher Normen ist das Entstehen der Steuerschuld. Im Sachbereich des Steuerrechts liegt eine echte Rückwirkung nur vor, wenn der Gesetzgeber eine bereits entstandene Steuerschuld nachträglich abändert. (BVerfG-Beschlüsse vom 25.3.2021 – 2 BvL 1/11, BVerfGE 157, 177 und vom 7.12.2022 2 BvR 988/16, jeweils m.w.N.).

 

67 Im Streitfall wurde der Tatbestand des § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG erst mit der Vermögensübertragung an die Klägerin im Streitjahr 2016 verwirklicht. Die Steuer ist erst mit Ablauf des Jahres 2016 entstanden (§ 36 Abs. 1 i.V.m. § 25 Abs. 1 EStG). Das Gesetz war zu diesem Zeitpunkt bereits seit mehreren Jahren in Kraft.

  1. bb) § 20 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2 EStG entfaltet aber eine sog. unechte Rückwirkung in Bezug auf vor der Gesetzesverkündung am 8.12.2010 bereits entstandene Wertsteigerungen.

 

68 (1) Soweit belastende Rechtsfolgen einer Norm erst nach ihrer Verkündung eintreten, tatbestandlich aber von einem bereits ins Werk gesetzten Sachverhalt ausgelöst werden „tatbestandliche Rückanknüpfung“), liegt eine unechte Rückwirkung vor.Eine solche unechte Rückwirkung ist nicht grundsätzlich unzulässig. Denn die Gewährung vollständigen Schutzes zugunsten des Fortbestehens der bisherigen Rechtslage würde den dem Gemeinwohl verpflichteten Gesetzgeber in wichtigen Bereichen lähmen und den Konflikt zwischen der Verlässlichkeit der Rechtsordnung und der Notwendigkeit ihrer Änderung im Hinblick auf einen Wandel der Lebensverhältnisse in nicht mehr vertretbarer Weise zulasten der Anpassungsfähigkeit der Rechtsordnung lösen. Der verfassungsrechtliche Vertrauensschutz geht insbesondere nicht so weit, den Staatsbürger vor jeder Enttäuschung zu bewahren. Soweit nicht besondere Momente der Schutzwürdigkeit hinzutreten, genießt die bloß allgemeine Erwartung, das geltende Recht werde zukünftig unverändert fortbestehen, keinen besonderen verfassungsrechtlichen Schutz. Der Gesetzgeber muss aber, soweit er für künftige Rechtsfolgen an bereits ins Werk gesetzte Sachverhalte anknüpft, dem verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutz in hinreichendem Maß Rechnung tragen. Die Interessen der Allgemeinheit, die mit der Regelung verfolgt werden, und das Vertrauen des Einzelnen auf die Fortgeltung der Rechtslage sind abzuwägen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit muss gewahrt sein. Eine unechte Rückwirkung ist mit den Grundsätzen grundrechtlichen und rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes daher nur vereinbar, wenn sie zur Förderung des Gesetzeszwecks geeignet und erforderlich ist und wenn bei einer Gesamtabwägung zwischen dem Gewicht des enttäuschten Vertrauens und dem Gewicht und der Dringlichkeit der die Rechtsänderung rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt bleibt. Auch wenn in den Fällen unechter Rückwirkung der Vertrauensschutz – anders als bei der echten Rückwirkung – nicht regelmäßig Vorrang hat, bedürfen die belastenden Wirkungen einer Enttäuschung schutzwürdigen Vertrauens stets einer hinreichenden Begründung nach den Maßstäben der Verhältnismäßigkeit. Der Normadressat muss eine Enttäuschung seines Vertrauens in die alte Rechtslage nur hinnehmen, soweit dies aufgrund besonderer, gerade die Rückanknüpfung rechtfertigender öffentlicher Interessen unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt ist. (BVerfG-Beschlüsse vom 25.3.2021 – 2 BvL 1/11, BVerfGE 157, 177 und vom 7.12.2022 – 2 BvR 988/16, WM 2023, 561, jeweils m.w.N.).

 

69 Die bloße Möglichkeit, Gewinne später steuerfrei vereinnahmen zu können, begründet keine (vertrauens-)rechtlich geschützte Position. Mit Wertsteigerungen kann im Zeitpunkt des Erwerbs nicht sicher gerechnet werden, sodass auch die Enttäuschung der Hoffnung auf künftige steuerfreie Vermögenszuwächse nicht als Beeinträchtigung greifbarer Vermögenswerte zu werten ist (BVerfG-Beschlüsse vom 7.7.2010 – 2 BvL 14/02, 2/04 und 13/05, BStBl. II 2011, 76, Rn. 64 und 2 BvR 748/05, 753/05 und 1738/05, BStBl. II 2011, 86 Rn. 52). Dementsprechend sind Wertsteigerungen, die erst nach Verkündung des Gesetzes eintreten, vom Vertrauensschutz nicht erfasst. Die Verlängerung der Spekulationsfrist in § 23 EStG und die Absenkung der Wesentlichkeitsgrenze in § 17 EStGbegegnet demnach keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, soweit diese in der Zukunft erwirtschaftete Wertzuwächse erfassen.

 

70 Dies ist jedoch anders zu beurteilen für solche Wertsteigerungen, die bis zum Zeitpunkt der Verkündung des Gesetzes steuerfrei hätten realisiert werden können. Insoweit ergibt sich ein erhöhter Rechtfertigungsbedarf aus dem Erwerb eines konkreten Vermögensbestands durch den Ablauf der Zweijahresfrist bei Grundstücken bzw. dem Entstehen zwischenzeitlicher Wertzuwächse beim Halten von Kapitalgesellschaftsbeteiligungen von bis zu 25% (BVerfG-Beschlüsse vom 7.7.2010 – 2 BvL 14/02, 2/04 und 13/05, BStBl. II 2011, 76, Rn. 66 und 2 BvR 748/05, 753/05 und 1738/05, BStBl. II 2011, 86 Rn. 54). Die bloße Absicht, mehr staatliche Einkünfte zu erzielen, ist für sich genommen grundsätzlich noch kein den Vertrauensschutz betroffener Steuerpflichtiger überwindendes Gemeinwohlinteresse; denn dies würde bedeuten, dass der Vertrauensschutz gegenüber rückwirkenden Steuerverschärfungen der Steuerrechts praktisch leerliefe (BVerfG-Beschlüsse vom 7.7.2010 – 2 BvL 14/02, 2/04 und 13/05, BStBl. II 2011, 76, Rn. 75 und 2 BvR 748/05, 753/05 und 1738/05, BStBl. II 2011, 86 Rn. 60 vom 25.3.2021 2 BvL 1/11, BVerfGE 157, 177, Rn. 87). Auch Aspekte der Missbrauchsbekämpfung und die Schließung von Besteuerungslücken stellen keine Rechtfertigungsgründe dar (BVerfG-Beschluss vom 7.7.2010 – 2 BvR 748/05, 753/05 und 1738/05, BStBl. II 2011, 86 Rn. 61 f.).

 

71 (2) Im Streitfall hatte die Klägerin bis zur Einführung des am 8.12.2010 verkündeten Gesetzes eine gefestigte Vermögensposition im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG inne.

 

72 (a) Die Klägerin war laut den Gründungsurkunden der Trusts eine der Begünstigten. Weder die Gründer noch andere Personen hatten hinsichtlich des Trustvermögens die Möglichkeit, den Trusts das Vermögen oder der Klägerin ihre Eigenschaft als Begünstigte zu entziehen. Im Streitfall kommt verschärfend hinzu, dass die Klägerin zu Lebzeiten ihres Vaters keinerlei Möglichkeit hatte, über das Trustvermögen zu disponieren und damit auf eine anstehende Gesetzesänderung – etwa durch vorzeitige Kündigung des Trusts oder Veräußerung ihres „Anteils“ – zu reagieren. Der Zuflusszeitpunkt der Einkünfte hing ausschließlich vom Tod ihres Vaters ab.

 

73 (b) Entgegen der Auffassung des Beklagten schließt die Möglichkeit des Todes der Klägerin vor dem Tod ihres Vaters die Annahme einer konkret verfestigten Vermögensposition in diesem Sinne nicht aus. In diesem Fall wären ihre Kinder als Rechtsnachfolger in die Vermögensposition der Klägerin eingetreten. Insoweit besteht kein Unterschied zu den vom BVerfG entschiedenen Fällen. Auch der Eigentümer eines Grundstücks oder der Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft hätte vor einer (geplanten) Veräußerung versterben können. In diesem Fall hätten sich seine Rechtsnachfolger ebenfalls auf Vertrauensschutz berufen können. Dabei ergibt sich nach Auffassung des Senats kein Unterschied daraus, ob die Rechtsnachfolge bereits in den Gründungsurkunden angeordnet ist oder durch Erbfall (gesetzliche oder testamentarische) Gesamtrechtsnachfolge eintritt.

 

74 (c) Dass die Klägerin keine zivil- bzw. gesellschaftsrechtliche Position innehatte, schließt – entgegen der Auffassung des Beklagten – eine hinreichend verfestigte Vermögensposition ebenfalls nicht aus. Maßgeblich für die Verwirklichung des Tatbestands des § 20 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2 EStG ist die wirtschaftliche Verselbstständigung der Trusts und die daraus folgende Vergleichbarkeit mit inländischen steuerpflichtigen Körperschaften. Wenn das Gesetz die Klägerin danach wie die Gesellschafterin einer steuerpflichtigen Körperschaft behandelt, kann für die Prüfung des Vertrauensschutzes nichts anderes gelten.

 

75 (3) Die Einführung des § 20 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2 EStG ist – soweit die Norm auch Wertsteigerungen und Erträge in der Vergangenheit erfasst und damit Rückwirkung entfaltet – verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt.

 

76 (a) Die Gesetzesbegründung ist für eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung nicht ergiebig. Der Gesetzgeber begründet die Einbeziehung ausländischer Körperschaften damit, dass es nicht gerechtfertigt sei, nur Leistungen inländischer Körperschaften zu erfassen. Da Dividenden auch dann dem Grunde nach von § 20 EStG erfasst würden, wenn sie von einem ausländischen Schuldner stammten, müsse sich auch 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG bei vergleichbaren ausländischen Körperschaften hierauf erstrecken (BR-Drs. 318/10, S. 77, BT-Drs. 17/2249, S. 52). Eine weitere Begründung, gerade im Hinblick auf die rückwirkende Einbeziehung von Wertsteigerungen und aufgelaufenen Erträgen, enthält die Begründung des Gesetzesentwurfs nicht. Soweit der Gesetzgeber dem Verweis in § 20 Abs. 1 Nr. 9 Satz 1 EStG auf Abs. 2 durch das JStG 2007 vom 13.12.2006 (BGBl. I 2006, 2878) lediglich klarstellende Funktion beimessen wollte (BR-Drs. 622/06, S. 81 und BT-Drs. 16/2712, S. 49), ist diese Begründung nach Auffassung des BFH, der sich der erkennende Senat anschließt, unzutreffend (BFH-Urteil vom 28.2.2018 VIII R 30/15, BFH/NV 2018, 857). Vielmehr wurde durch das JStG 2007 erstmals eine Steuerpflicht für die Auskehrung von Liquidationsvermögen begründet. Weitere Rechtfertigungsgründe sind vom Gesetzgeber nicht angegeben worden.

 

77 (b) Auch die vom Beklagten angeführten Rechtfertigungsgründe greifen nicht durch. Soweit er darauf abstellt, dass Zahlungen an Destinatäre von Stiftungen bereits seit 1986 nach § 22 Nr. 1 EStGsteuerpflichtig seien, trifft dies zwar zu. Allerdings betrifft diese Regelung nur laufende Zahlungen in Form von wiederkehrenden Bezügen und keine Auskehrung des Liquidationsendvermögens. Die Erfassung letztgenannter Bezüge mag zwar der Gleichbehandlung wirtschaftlich vergleichbarer Vorgänge dienen. Letztlich kommt dies aber der Schließung einer Besteuerungslücke gleich, die nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG nicht als Rechtfertigung für eine Rückwirkung ausreicht.

 

78 (c) Soweit der Beklagte auf den Gerichtsbescheid des Hessischen FG vom 25.05.2021 (10 K 707/20, EFG 2021, 1540) abstellt, trifft es zwar zu, dass hierin keine verfassungsrechtlichen Zweifel an § 20Abs. 1 Nr. 9 EStG geäußert wurden. Allerdings betraf der dort entschiedene Sachverhalt nicht die Auskehrung des Endvermögens nach Auflösung der ausländischen Familienstiftung. Das Hessische FG hat vielmehr allein auf § 20 Abs. 1 Nr. 9 i.V.m. Nr. 1 EStG und nicht auf Nr. 2 abgestellt. Die verfassungsrechtliche Problematik ergibt sich im Streitfall hingegen allein aus der Verteilung des Endvermögens, hinsichtlich dessen die Klägerin eine verfestigte Vermögensposition innehatte. Ob – wie der Beklagte meint – im Hinblick auf die Rückwirkungsproblematik eine Gleichbehandlung von Gewinnausschüttungen und der Verteilung des Endvermögens geboten ist, braucht der Senat nicht zu entscheiden, da es im Streitfall ausschließlich um die Verteilung des Endvermögens geht. Die Frage, ob auch die Erfassung von mit Gewinnausschüttungen vergleichbaren Bezügen aus aufgelaufenen Erträgen (teilweise) verfassungswidrig ist, ist damit nicht entscheidungserheblich.

 

79 (d) Der Senat braucht ebenfalls nicht zu entscheiden, ob die Einführung von § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStGder Beseitigung eines verfassungswidrigen Zustands im Hinblick auf die Ungleichbehandlung von Bezügen aus inländischen und ausländischen Körperschaften diente. Zum einen hat der Gesetzgeber selbst nicht auf die Beseitigung einer Verfassungswidrigkeit abgestellt (s.o. unter (a)). Zum anderen hätte eine etwaige verfassungswidrige Ungleichbehandlung auch auf andere Weise beseitigt werden können als durch rückwirkende Besteuerung bereits aufgelaufener Wertsteigerungen. Letztlich ging es dem Gesetzgeber allein um die Schließung einer Besteuerungslücke, die für die Zukunft zulässig ist, aber – wie bereits ausgeführt – keine rückwirkende Einbeziehung einer verfestigten Vermögensposition in die Besteuerung rechtfertigen kann.

 

80 (4) Das vom Beklagten angeführte BVerfG-Urteil vom 10.4.2018 (1 BvR 1236/11, BVerfGE 148, 217) steht der Auffassung des Senats nicht entgegen. Im Urteilsfall ging es um die Einführung von § 7 Satz 2 Nr. 2 des Gewerbesteuergesetzes durch das Fünfte Gesetz zur Änderung des Steuerbeamten-Ausbildungsgesetzes und zur Änderung von Steuergesetzen, wodurch Gewinne aus der Veräußerung von Personengesellschaftsanteilen ab 2002 bei der Personengesellschaft der Gewerbesteuer unterworfen wurden. Das BVerfG hat sich in dieser Entscheidung zwar mit der Rückwirkungsproblematik beschäftigt, ist aber nicht auf die Frage eingegangen, ob bis zur Gesetzesverkündung bereits entstandene Wertsteigerungen vertrauensrechtlich geschützt sind.

 

81Daraus zieht der Senat allerdings nicht den Schluss, dass das BVerfG von seinen Beschlüssen vom 7.7.2010 (2 BvL 14/02, 2/04 und 13/05, BStBl. II 2011, 76 und 2 BvR 748/05, 753/05 und 1738/05, BStBl. II 2011, 86) abrücken wollte. Dies hätte einer deutlicheren Auseinandersetzung mit der genannten Rechtsprechung bedurft. Vielmehr hat das BVerfG in seinem aktuelleren Beschluss vom 25.3.2021 (2 BvL 1/11, BVerfGE 157, 177) die Grundsätze der Beschlüsse vom 7.7.2010 bestätigt und unter deren Zugrundelegung § 11 Abs. 2 Satz 3, 1. Halbsatz EStG für teilweise verfassungswidrig erklärt. Der Senat hält es für sachnäher, die zur Einkommensbesteuerung des Privatvermögens ergangene BVerfG-Rechtsprechung und nicht das die Gewerbesteuer von Personengesellschaften betreffende Urteil auf den Streitfall anzuwenden, zumal das BVerfG in diesem Urteil die Besonderheiten der gewerbesteuerlichen Behandlung von Mitunternehmerschaften und Körperschaften herausgearbeitet hat (BVerfG-Urteil vom 10.4.2018 – 1 BvR 1236/11, BVerfGE 148, 217, Rn. 27 ff.).

 

82 b) Der Senat sieht von einer Vorlage an das BVerfG nach Art. 100 Abs. 1 GG ab. Vielmehr legt er § 20 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2 i.V.m. Satz 1 2. Halbsatz i.V.m. Nr. 2 Satz 2 EStG dahingehend verfassungskonform aus, dass im Fall der Auskehrung des Endvermögens eines ausländischen Trusts nur solche Bezüge erfasst werden, die nach der Verkündung des JStG 2010 am 8.12.2010 entstanden sind.

 

83 aa) Dem steht nicht entgegen, dass sich dem Gesetzeswortlaut für eine derartige Auslegung keine Anhaltspunkte entnehmen lassen. Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG und der Fachgerichte (vgl. die Nachweise bei Drüen in Tipke/Kruse, AO,FGO, § 4 AO Rz 355) und nach der ganz herrschenden Lehre sind die Gerichte zur (ergänzenden) Rechtsfortbildung berechtigt und verpflichtet. Führt die wortgetreue Auslegung des Gesetzes ausnahmsweise zu einem sinnwidrigen Ergebnis, besteht also eine Divergenz zwischen dem Gesetzeswortlaut und dem Gesetzeszweck, sind die Gerichte sogar zu einer (gesetzeswortlaut-)abändernden Rechtsfortbildung berufen. Als Instrumente werden hierbei die teleologische Reduktion und die Extension verwendet (BFH-Urteil vom 23.3.2011 – X R 28/09, BStBl. II 2011, 753, Rn. 18). Eine verfassungskonforme Auslegung wird von der Rechtsprechung insbesondere in Rückwirkungsfällen vorgenommen. Dies betrifft insbesondere zu weit geratene – und damit verdeckt lückenhafte – Überleitungsbestimmungen, die auch Sachverhaltskonstellationen erfassen, für die der Gesetzgeber – hätte er sie bedacht – zur Vermeidung einer verfassungsrechtlich unzulässigen Rückwirkung eine besondere Anwendungsregelung getroffen hätte. Eine solche verdeckte Regelungslücke ist im Wege der ergänzenden Rechtsfortbildung dadurch zu schließen, dass die verfassungsrechtlich erforderlichen Einschränkungen dem Gesetzeswortlaut hinzuzufügen sind (BFH-Urteil vom 27.3.2012 – I R 62/08, BStBl. II 2012, 745, Rn. 18). Dementsprechend nimmt die Rechtsprechung sogar teilweise gegen den eindeutigen Gesetzeswortlaut eine verfassungskonforme Auslegung vor (BFH-Urteil vom 18.6.2009 – VI R 14/07, BStBl. II 2010, 816, Rn. 24 f. zur Anwendung des Abzugsverbots nach § 12 Nr. 5 EStG auf ein Zweitstudium; BFH-Urteile vom 12.12.2000 – VIII R 10/99, BStBl II 2001, 282; vom 25.3.2004 – IV R 2/02, BStBl. II 2004, 728und vom 19.10.2005 – I R 34/04, BFH/NV 2006, 1099: verfassungskonforme Einschränkung von § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG (Bilanzänderung) für Zeiträume vor 1999; BFH-Urteile vom 14.12.2006 – III R 27/03, BStBl. II 2007, 332: keine Einschränkung der Investitionszulage nach § 3 Abs. 1 Satz 2 des Investitionszulagengesetzes, wenn mit den Investitionen bereits vor der endgültigen Beschlussfassung der Gesetzesänderung begonnen wurde und vom 23.3.2011 – X R 28/09, BStBl. II 2011, 753: Überentnahmen im Sinne von § 4 Abs. 4a EStG des Kalenderjahres 1998 sind nicht zu berücksichtigen).

 

84 bb) Im Hinblick auf die mit dem Streitfall und den vom BVerfG am 7.7.2010 entschiedenen Fällen (BVerfG-Beschlüsse vom 7.7.2010 – 2 BvL 14/02, 2/04 und 13/05, BStBl. II 2011, 76 und 2 BvR 748/05, 753/05 und 1738/05, BStBl. II 2011, 86) vergleichbare Absenkung der Beteiligungsgrenze von 10 % auf 1 % in § 17 EStG durch das Steuersenkungsgesetz vom 23.10.2000 (BGBl. I 1433) nimmt sogar die Finanzverwaltung selbst eine verfassungskonforme Auslegung vor (BMF-Schreibenvom 20.12.2010, BStBl. I 2011, 16 unter D.; so auch Niedersächsisches FG, Urteil vom 28.2.2012 12 K 10250/09, EFG 2012, 1337; Schmidt in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 17 EStG Anm. 10; krit. FG Düsseldorf, Urteil vom 16.4.2013 13 K 4190/11 E, Juris, Rn. 27).

 

85 cc) Der Senat hält im Streitfall eine entsprechende verfassungskonforme Auslegung des § 20 Abs. 1Nr. 9 EStG dahingehend, dass die Verteilung des Endvermögens nach der Auflösung ausländischer Körperschaften nicht erfasst wird, soweit hierin Wertsteigerungen enthalten sind, die bis zur Gesetzesverkündung am 8.12.2010 entstanden sind, ebenfalls für geboten. Aufgrund der nicht zu rechtfertigenden unechten Rückwirkung im Hinblick auf die Erfassung von Wertsteigerungen vor dem 8.12.2010 ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber – hätte er die Rückwirkung erkannt – eine entsprechende Einschränkung des gesetzlichen Tatbestands vorgenommen hätte.

 

86 5. Die danach vorzunehmende Steuerminderung beträgt xy €.

 

87 a) Die verfassungskonforme Auslegung führt im Streitfall dazu, dass nur die Wertsteigerungen vom 8.12.2010 bis zur Vermögensübertragung an die Klägerin im Jahr 2016 steuerpflichtig sind. Diese betragen – was zwischen den Beteiligten unstreitig ist – www €. Der bislang vom Beklagten angesetzte Betrag in Höhe von kkk € ist danach um fff € und die Steuer beim Steuersatz von 25% (§ 32d Abs. 1 Satz 1 EStG) um xy € zu mindern.

 

88 b) Aufgrund der vom Senat vorgenommenen verfassungskonformen Auslegung kommt es auf die zwischen den Beteiligten streitige Frage, ob und ggf. in welcher Höhe zusätzliches Anfangsvermögen anzusetzen ist, nicht mehr an.

 

89 c) Eine weitere Minderung hinsichtlich der Wertpapiere, die vor dem 1.1.2009 angeschafft wurden kommt – entgegen der Auffassung der Kläger – nicht in Betracht. Für die Veräußerungstatbestände des § 20 Abs. 2 EStG ordnet § 52 Abs. 28 Sätze 11 ff. EStG eine Anwendung nur für solche Anteile bzw. Rechte an, die nach dem 31.12.2008 erworben wurden. Der vorliegend einschlägige Tatbestand des § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG wird von dieser Anwendungsregelung jedoch nicht erfasst.

 

90 d) Die Verluste aus der im Streitjahr 2016 erfolgten Veräußerung der von der Klägerin nach Auflösung der Trusts erhaltenen Wertpapiere sind in der erklärten und berücksichtigten Höhe von vvv € anzusetzen. Aus der verfassungskonformen Auslegung ergibt sich keine Änderung der als Anschaffungskosten gemäß § 20 Abs. 4 EStG anzusetzenden Werte zum Erwerbszeitpunkt durch die Klägerin. Dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig.

 

91II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.

 

92III. Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 115 Abs. 2Nr. 1 FGO).

 

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