Rückgängigmachung der Ausschlagung
Nicht selten ist eine Erbschaft mit finanziellen Vorteilen für die Erben verbunden. Vielmehr ist es in einigen Fällen ratsam, die Erbschaft nach den §§ 1942 BGB auszuschlagen. Die Ausschlagung kann unter Umständen jedoch viel zu voreilig erfolgen und es stellt sich später heraus, dass der Erbe zum Zeitpunkt der Ausschlagung einem Irrtum unterlag. Es kommt häufig vor, dass Erben die Erbschaft effektiv und innerhalb der gesetzlichen Frist ablehnen, nur um später möglicherweise festzustellen, dass diese Entscheidung überstürzt war.
Wenn der Erbe, der die Erbschaft abgelehnt hat, später Kenntnis von Vermögenswerten erlangt, die von Anfang an Teil des Nachlasses waren, sucht er oft nach Möglichkeiten, die bereits erfolgte Ablehnung rückgängig zu machen und doch noch Zugang zu den neu entdeckten Vermögenswerten zu erhalten. In diesem Fall stellt sich die Frage, ob und unter welchen Umständen die Erbschaft ausgeschlagen werden kann.
Kann ich die Ausschlagung rückgängig machen?
Das Gesetz bietet dem ausschlagenden Erben die Möglichkeit, unter bestimmten Umständen die Rechtswirkung der Ausschlagung zu beseitigen.
Welche Voraussetzungen hat die Anfechtung der Ausschlagung?
1. Ausschlagungsgründe
Die Möglichkeit zur Anfechtung besteht nur dann, wenn einer der Anfechtungsgründe gemäß den Bestimmungen in den §§ 119 und 123 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) gegeben ist.
a. Eigenschaftsirrtum
In der Praxis ist insbesondere der Anfechtungsgrund nach § 119 Absatz 2 BGB von Bedeutung. Dieser besagt, dass eine bereits erklärte Ausschlagung der Erbschaft wirksam angefochten werden kann, wenn der Erbe, der die Ausschlagung erklärt hat, zum Zeitpunkt seiner Erklärung in Bezug auf wesentliche Aspekte des Nachlasses einen Irrtum hatte.
Dieser Irrtum darf jedoch nicht die allgemeine Annahme des Erben betreffen, dass der Nachlass überschuldet ist. Eine solche allgemeine Fehlvorstellung, die als "Motivirrtum" bezeichnet wird, wird in der Regel von den Gerichten nicht anerkannt und ist daher irrelevant. Der Irrtum muss sich vielmehr auf spezifische Vermögenswerte oder Verbindlichkeiten beziehen. Dies könnte beinhalten, dass der Erbe fälschlicherweise annimmt, dass bestimmte Vermögenswerte nicht Teil des Nachlasses sind oder dass bestimmte Nachlassverbindlichkeiten existieren und den Wert des Nachlasses mindern.
Beispiele:
- Größe des Miterbenanteils
- Einsetzung eines Miterben oder Nacherben
- Beschränkung und Beschwerungen des Erben durch Testamentsvollstreckung. Dies gilt auch für das Vorliegen von Auflagen oder Vermächtnissen.
Nicht anfechten kann die Person, die den Umfang des Nachlasses aufgrund einer ungenauen Vorstellung fehlerhaft eingeschätzt hat, ohne dabei über die genaue Zusammensetzung des Nachlasses Bescheid zu wissen. Das bedeutet, dass eine Person, die ihre Entscheidung zur Annahme oder Ausschlagung der Erbschaft auf spekulative (bewusst unsichere) Annahmen gestützt hat, sich nicht auf einen Anfechtungsgrund berufen kann.
b. Inhaltsirrtum
Gemäß § 119 Absatz 1 1. Variante BGB kann der Erbe die Ausschlagung anfechten, wenn er bei Abgabe der Anfechtungserklärung über deren Inhalt im Irrtum war. Hierbei entspricht zwar äußerlich die Erklärung dem Willen des Erben, jedoch irrt dieser hinsichtlich der Bedeutung und Tragweite seiner Erklärung. Es ist jedoch häufig schwierig, eine klare Abgrenzung zwischen einem erheblichen Rechtsfolgenirrtum und einem unerheblichen Motivirrtum zu ziehen. So ist ein beachtlicher Rechtsfolgenirrtum gegeben, wenn der Erbe einen Irrtum über die rechtlichen Konsequenzen einer bereits abgegebenen und gewollten Ausschlagung hat.
Dagegen ist ein unbeachtlicher Motivirrtum gegeben, wenn der Erklärende nicht wusste oder nicht erkannte, dass neben den beabsichtigten Rechtswirkungen auch zusätzliche oder mittelbare rechtliche Konsequenzen eintreten könnten.
In seinem Beschluss vom 22.03.2023 hat der BGH beschlossen, dass ein solcher unbeachtlicher Motivirrtum gegeben ist, wenn der eine Erbschaft Ausschlagende bei Abgabe seiner Erklärung über die an seiner Stelle in die Erbfolge eintretende Person irrt (Akz.: IV ZB 12/22).
c. Weitere Anfechtungsgründe
Ein weiterer Grund für die Anfechtung ist die arglistige Täuschung oder Drohung gemäß § 123 BGB. Ein solcher Grund ist gegeben, wenn der Erbe durch arglistige Täuschung oder widerrechtliche Drohung dazu veranlasst wurde, die Erbschaft auszuschlagen. Zudem hat der Erbe gemäß § 119 Absatz 1 2. Variante BGB die Möglichkeit die Ausschlagung wegen eines Erklärungsirrtums anzufechten. Typische Fälle eines Erklärungsirrtums sind das Verschreiben oder Versprechen. Dies ist jedoch in der Praxis kaum möglich, da die Anfechtung zur Niederschrift des Nachlassgerichts oder öffentlich beglaubigt werden muss.
2. Ausschlagungsfrist und -form
Gemäß § 1954 Absatz 1 BGB ist die Anfechtung der Ausschlagung nur binnen sechs Wochen anfechtbar. § 1954 Absatz 2 BGB besagt, dass die Frist im Falle der Anfechtbarkeit wegen Drohung mit dem Zeitpunkt beginnt, in welchem die Zwangslage aufhört, in den übrigen Fällen mit dem Zeitpunkt, in welchem der Anfechtungsberechtigte von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erlangt.
Sollte der Erblasser seinen letzten Wohnsitz im Wohnsitz ausschließlich im Ausland gehabt haben oder wenn sich der Erbe bei dem Beginn der Frist im Ausland aufhalten, beträgt die Frist sechs Monate.
Die Anfechtung ist jedoch gemäß § 1954 Absatz 4 BGB ausgeschlossen, wenn seit der Annahme oder der Ausschlagung 30 Jahre verstrichen sind.
Wie ist die Anfechtung zu erklären?
Gemäß § 1955 Satz 1 BGB ist die Anfechtung der Ausschlagung durch Erklärung gegenüber dem Nachlassgericht zu erfolgen. Die Anfechtung muss vor dem Nachlassgericht protokolliert werden oder diesem öffentlich beglaubigt zugesandt werden. Eine wirksame Anfechtung hat zur Folge, dass die Ausschlagung gemäß § 142 Absatz 1 BGB nichtig ist. Darüber hinaus sieht § 1957 BGB vor, dass die Anfechtung der Annahme als Ausschlagung der Erbschaft gilt und umgekehrt, und die Anfechtung der Ausschlagung als Annahme der Erbschaft betrachtet wird.