Pflichtteilsanspruch – Stundung des Pflichtteils
Die Erfüllung von Pflichtteilsansprüchen kann für den oder die Erben eine finanzielle Herausforderung sein, insbesondere dann, wenn der Nachlass im Wesentlichen aus nicht liquiden bzw. nicht leicht zu liquidierenden Vermögensgegenständen besteht.
1. Wann ist der Pflichtteilsanspruch zu erfüllen?
Grundsätzlich ist der Pflichtteilsanspruch unmittelbar nach Eintritt des Erbfalls fällig (§ 2317 Absatz 1 BGB). Der Pflichtteilsanspruch kann also von den Berechtigten unmittelbar nach dem Tod des Erblassers geltend gemacht werden. In der Praxis kann der Pflichtteilsanspruch vom Berechtigten jedoch meist nicht sofort beziffert werden. Der Pflichtteilsberechtigte ist darauf angewiesen und hat auch einen entsprechenden Anspruch darauf, dass ihm zunächst über den Nachlass Auskunft erteilt wird, und zwar durch Vorlage eines Nachlassverzeichnisses. Gehören zum Nachlass auch Immobilien, so wird es häufig nötig sein, den Wert durch ein Sachverständigengutachten ermitteln zu lassen. Bis ein Nachlassverzeichnis erstellt ist und die Wertgutachten vorliegen, vergehen typischerweise einige Monate. Kommen die Erben den Aufforderungen des Pflichtteilsberechtigten jedoch nicht nach und sind keine Bemühungen zu erkennen, dass die geforderten Auskünfte auch erteilt werden, so werden die Pflichtteilsberechtigten häufig nicht zögern, Klage zu erheben, denn grundsätzlich ist der Anspruch sofort fällig.
2. Müssen die Erben den Pflichtteil auch dann erfüllen, wenn die Erbengemeinschaft noch nicht auseinandergesetzt ist?
Wenn sie die Erbengemeinschaft noch nicht auseinandergesetzt haben und die Erbschaft untereinander noch nicht aufgeteilt wurde, richtet sich deren Haftung nach § 2059 BGB. Demnach steht Erben bis zur Teilung des Nachlasses das Recht zu, die Berechtigung einer Nachlassverbindlichkeit zu verweigern, wenn er dafür auf sein privates Vermögen zugreifen muss. Interessant wird diese Haftungsbeschränkung insbesondere, wenn ein Pflichtteilsanspruch gegen einen oder mehrere Erben geltend gemacht wird.
Bis zur Teilung des Nachlasses kann der Pflichtteilsberechtigte von jedem Erben den Pflichtteil in voller Höhe verlangen, unabhängig davon, dass dem in Anspruch genommenen Erbe nur ein Bruchteil der Erbschaft zusteht. Jedoch kann der in Anspruch genommene Erbe im Wege der Haftungsbeschränkung des § 2059 BGB die Zahlung verweigern, wenn er dafür auf sein Privatvermögen zugreifen muss.
Nachdem sich die Erbengemeinschaft auseinandergesetzt und die Erbschaft untereinander geteilt hat, haften sie nach § 2060 BGB lediglich in Höhe ihres Erbschaftsanteils.
3. Können die Erben eine Stundung des Pflichtteils verlangen?
Um eine Stundung des Pflichtteils verlangen zu können, müssen die Voraussetzungen des § 2331a BGB vorliegen.
„Der Erbe kann Stundung des Pflichtteils verlangen, wenn die sofortige Erfüllung des gesamten Anspruchs für den Erben wegen der Art der Nachlassgegenstände eine unbillige Härte wäre, insbesondere wenn sie ihn zur Aufgabe des Familienheims oder zur Veräußerung eines Wirtschaftsguts zwingen würde, das für den Erben und seine Familie die wirtschaftliche Lebensgrundlage bildet. Die Interessen des Pflichtteilsberechtigten sind angemessen zu berücksichtigen.“
Die Stundung erfordert eine doppelte Prüfung. Zum einen muss die sofortige Erfüllung den oder die Erben wegen der Art der Nachlassgegenstände unbillig hart treffen. Wenn dies festgestellt ist, müssen die Interessen des Pflichteilsberechtigten angemessen berücksichtigt werden. Dabei kann das Alter des Pflichtteilsberechtigten, seine Lebensstellung, sein eigenes Vermögen eine Rolle spielen. Zu berücksichtigen ist auch, wieviel Zeit schon bis zur Entscheidung über den Stundungsantrag seit dem Erbfall vergangen ist und welche Verzögerungen durch Prozesse und die Auskunftserteilung eingetreten sind.
Wegen der notwenigen Berücksichtigung der Interessen des Pflichtteilsberechtigten wird auch zu prüfen sein, ob eine Stundung nicht nur gegen Stellung einer Sicherheit, z.B. der Einräumung einer Grundschuld, zu gewähren ist.
Typischerweise handelt es sich um Konstellationen, in der betreffende Nachlassgegenstand ein Familienheim ist oder mehrere Nachlassgegenstände zu einem Betrieb gehören, der für den oder die Erben eine wirtschafltiche Existenzgrundlage bildet.
NIcht erforderlich ist, dass die Immobilie schon im Zeitpunkt des Erbfalls von dem oder den Erben bewohnt wird. Eine unbillige Härte kann auch dann vorliegen, wenn die Nachlassimmobilie für die Zukunft die Lebensgrundlage des oder der Erben bilden soll. Eine sofortige Erfüllung des Pflichtteilsanspruchs muss diese wirtschafltiche Lebensgrundlage konkret gefährden.
Die Stundungsvoraussetzungen sind für jeden Erben gesondert zu prüfen. Solange der Nachlass noch nicht geteilt ist, kommt die einem Erben gewährte Stundung auch den anderen Erben zugute. Hintergrund ist, dass eine Vollstreckung im Falle des ungetieilten Nachlasses nur auf diesen gerichtet sein kann und die einzelnen Erben bis zur Auseinandersetzung nicht mit ihrem persönlichen Vermögen haften.
Um eine Stundung erhalten zu können, müssen die Erben zunächst einen Antrag an das Nachlassgericht stellen.
Beispiel:
Der Erblasser hat seine zweite Ehefrau zur Alleinerbin eingesetzt. Die Kinder des Erblassers aus der ersten Ehe verlangen von der Witwe die Erfüllung der Pflichtteilsansprüche. Die Witwe erhält eine geringe Witwenrente. Zum Nachlass gehört ein Einfamilienhaus, in dem die Eheleute seit mehr als 20 Jahren gelebt haben. Die Witwe wartet auf einen Platz in einem Altersheim und möchte die Immobilie dann veräußern. Die pflichtteilsberechtigten Kinder haben ein normales EInkommen. Es ist den pflichtsteilsberechtigten Kindern zuzumuten, eine gewisse Zeit abzuwarten bis die Witwe einen Platz im Altersheim gefunden und die Immobilie nach einem ordentlichen Vermarktungsprozess veräußert wurde. Zur Absicherung der Pflichtteilsansprüche der Kinder kann eine Grundschuld eingetragen werden. Bei Veräußerung wird der Käufer den Kaufpreis bis zur Höhe der Pflichtteilsansprüche bei Vorliegen der entsprechenden Löschungsbewilligungen an die Kinder zahlen.
Zusändig für die Entscheidung über den Stundungsantrag ist das Nachlassgericht. Voraussetzung ist allerdings, dass der Pflichtteilsanspruch der Höhe nach unstreitig ist. In der Praxis ist die Höhe des Pflichtteilsanspruchs in den wenigsten Fällen, in denen über einen Stundungsantrag nachgedacht wird, unstreitig.
Ist ein streitiges Verfahren über den Pflichtteilsanspruch rechtshängig, so ist ausschließlich das Prozessgericht für die Entscheidung über die Stundung zuständig.