Pflichtteil: Zur Höhe der Pflichtteilsquote des Ehegatten
1. Übersicht
Der Pflichtteilsanspruch besteht gemäß § 2303 Abs. 1 Satz 2 BGB in der Hälfte des Wertes des gesetzlichen Erbteils. Damit ist der gesetzliche Erbteil der Ausgangspunkt für die Feststellung der Pflichtteilsquote. Dabei ist zu beachten, dass die Ermittlung der gesetzlichen Erbquote des überlebenden Ehegatten nur fiktiv erfolgt, um die Pflichtteilsquote ermitteln zu können. Der überlebende Ehegatte, der pflichtteilsberechtigt ist, wird ja gerade nicht gesetzlicher Erbe, weil die gesetzliche Erbfolge immer nur dann eintritt, wenn der Erblasser keine abweichende Erbfolge durch Testament oder Erbvertrag bestimmt hat.
Bei der Feststellung der Pflichtteilsquote des Ehegatten sind deshalb auch die Besonderheiten bei der Ermittlung der gesetzlichen Erbquote zu berücksichtigen. Die gesetzliche Erbquote des Ehegatten hängt nämlich einerseits davon ab, in welchem Güterstand die Eheleute beim Erbfall gelebt haben und andererseits davon, welche Verwandte des Erblassers im Zeitpunkt des Erbfalls leben
2. Höhe des Ehegattenpflichtteils bei Zugewinngemeinschaft
In Deutschland gilt für die meisten Ehepaare der Güterstand der Zugewinngemeinschaft. Dies ist der gesetzliche Güterstand, der automatisch gilt, wenn die Ehegatten keine abweichende Vereinbarung getroffen haben. Nur ein Ehevertrag kann den Güterstand ändern und die Eheleute haben die Möglichkeit, zwischen der modifizierten Zugewinngemeinschaft, der Gütergemeinschaft oder der Gütertrennung zu wählen. Zugewinnausgleich bedeutet im Hinblick darauf, dass derjenige Ehepartner, der während der Ehe weniger Vermögen erwirtschaftet hat als der andere, einen Anspruch auf Ausgleich hat (§ 1378 BGB). Der Anspruch auf Ausgleich des Zugewinns entsteht mit der Beendigung des Güterstandes der Zugewinngemeinschaft. Dieser kann auf verschiedene Weise beendet werden, durch den Tod, durch Ehescheidung oder auch durch Änderung des Güterstandes. Für den Fall, dass der Güterstand der Zugewinngemeinschaft durch den Tod beendet wird, enthält das Gesetz Sonderregelungen, auf die später eingegangen wird.
3. Ermittlung der fiktiven gesetzlichen Erbquote
Lebte der Erblasser im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft, so hängt die Höhe des gesetzlichen Erbteils des Ehegatten zunächst davon ab, ob der Erblasser neben dem Ehegatten noch nahe Verwandte hinterlässt, nämlich gesetzliche Erben der 1. oder der 2. Ordnung. Gemäß § 1931 Abs. 1 BGB beträgt die gesetzliche Erbquote des überlebenden Ehegatten neben Verwandten der ersten Ordnung (Kinder, Enkelkinder) ¼, neben Verwandten der 2. Ordnung (Eltern, Geschwister, Neffen und Nichten des Erblassers) oder Großeltern ½.
4. Gesetzliche Ehegattenerbquote neben Kindern des Erblassers
Hinterlässt der Erblasser Kinder oder Enkelkinder so beträgt die gesetzliche Erbquote des überlebenden Ehegatten also zunächst ¼. In der Zugewinngemeinschaft wird dieses Viertel dann zum Zwecke des pauschalen Ausgleichs des Zugewinns des überlebenden Ehegatte gemäß § 1371 Abs. 1 BGB um ein weiteres Viertel erhöht, so dass die gesetzliche Erbquote des überlebenden Ehegatten – als Ausgangspunkt zur Bestimmung der Pflichtteilsquote – in diesem Fall insgesamt ½ beträgt (erhöhte Erbquote).
5. Gesetzliche Ehegattenerbquote neben Großeltern, Eltern, Geschwistern oder Nichten des Erblassers
Hatte der Erblasser hingegen keine Kinder, hinterlässt aber z.B. Geschwister, so beträgt die gesetzliche Erbquote des Ehegatten gemäß § 1931 Abs. 1 BGB ½. Dieser Erbteil wird in der Zugewinngemeinschaft wieder nach § 1371 Abs. 1 BGB um ¼ erhöht, so dass der überlebende Ehegatte – gäbe es keine letztwillige Verfügung und wäre er deshalb gesetzlicher Erbe – neben den Geschwistern des Erblassers mit einer Quote von insgesamt ¾ gesetzlicher Erbe wäre.
6. Großer oder kleiner Pflichtteil
Da wie soeben gezeigt die gesetzliche Erbquote des Ehegatten zum pauschalen Ausgleich des Zugewinns um ¼ erhöht wird, stellt sich die Frage, ob diese Erhöhung auch dann zu berücksichtigen ist, wenn der der Ehegatte gar nicht gesetzlicher Erbe wird, sondern seinen Pflichtteil fordert. Da der Pflichtteil gemäß § 2303 Abs. 1 Satz 2 BGB in der Hälfte des Wertes des gesetzlichen Erbteils beseht, würde der Pflichtteil des überlebenden Ehegatten sofern der Erblasser Abkömmlinge (Kinder, Enkelkinder) hinterlässt entweder ¼ oder nur 1/8 betragen, je nachdem ob bei der Ermittlung der fiktiven gesetzlichen Erbquote die Erhöhung zum Ausgleich des Zugewinns berücksichtigt wird oder nicht. Hinterlässt der Erblasser keine Abkömmlinge, jedoch Großeltern, Eltern, Geschwister, Neffen oder Nichten, so würde die Pflichtteilsquote entweder 3/8 (die Hälfte von ¾) oder nur ¼ (die Hälfte von ½) betragen, je nachdem ob bei der Ermittlung der fiktiven gesetzlichen Erbquote die Erhöhung zum Ausgleich des Zugewinns berücksichtigt wird oder nicht.
7. Kleine Pflichtteilsquote bei Enterbung des Ehegatten
Ist der überlebende Ehegatte weder Erbe noch Vermächtnisnehmer, wird er also in der letztwilligen Verfügung des Erblassers gar nicht bedacht, ist bei der Feststellung der Pflichtteilsquote des überlebenden Ehegatten von der nicht erhöhten gesetzlichen Erbquote ausgegangen. Man spricht insofern vom „kleinen Pflichtteil“ als die Hälfte des nicht erhöhten gesetzlichen Ehegattenerbteils. Daneben kann der überlebende Ehegatte von dem oder den Erben den Ausgleich des tatsächlich erwirtschafteten Zugewinns des Erblassers verlangen (§ 1371 Abs. 2 BGB). Dies nennt man auch die „güterrechtliche Lösung“. Hinterlässt der Erblasser Abkömmlinge so beträgt die kleine Pflichtteilsquote also 1/8 (die Hälfte von ¼). Hinterlässt der Erblasser keine Abkömmlinge. jedoch Großeltern, Eltern, Geschwister, Neffen oder Nichten, so beträgt die kleine Pflichtteilsquote ¼ (die Hälfte von ½).
8. Große Pflichtteilsquote bei Zuwendungen an den Ehegatten
Ist der Ehegatte zum gewillkürten Erben bestimmt oder ist er mit einem Vermächtnis bedacht, kann der überlebende Ehegatte die Zuwendung ausschlagen und neben dem beschriebenen kleinen Pflichtteil den Ausgleich des konkret zu ermittelndem Zugewinn fordern, und zwar nach den Vorschriften, die für den Zugewinnausgleich bei Ehescheidung gelten (§ 1371 Abs. 2 BGB). Schlägt der Ehegatte seinen zugewendeten Erbteil oder das ihm zugewendete Vermächtnis nicht aus, so kann er den konkreten Zugewinn dagegen nicht fordern. Der Ehegatte der zum gewillkürten Erben bestimmt wurde oder mit einem Vermächtnis bedacht wurde, kann aber unter bestimmten Voraussetzungen aber auch den so genannten großen Pflichtteil fordern. Der große Pflichtteil entspricht der Hälfte des erhöhten gesetzlichen Ehegattenerbteils. Hinterlässt der Erblasser Abkömmlinge so beträgt die große Pflichtteilsquote also 1/4 (die Hälfte von 1/2). Hinterlässt der Erblasser keine Abkömmlinge. jedoch Großeltern, Eltern, Geschwister, Neffen oder Nichten, so beträgt die große Pflichtteilsquote 3/8 (die Hälfte von ¾).
Dieser große Pflichtteil ist relevant, wenn der überlebende Ehegatte zwar Ehegatte oder Vermächtnisnehmer geworden ist, ihm wirtschaftlich jedoch weniger als dieser große Pflichtteil zugewendet wurde. Dann nämlich kann der überlebende Ehegatte gemäß § 2305 BGB die Zuwendung auch behalten und daneben den so genannten Zusatzpflichtteil fordern. Zur Feststellung der Zusatzpflichtteilsquote ist dann von dem erhöhten gesetzlichen Ehegattenerbteil auszugehen, also vom großen Pflichtteil. Entscheidet sich der überlebende Ehegatte dafür die („geringe“) Erbschaft oder das („geringe“) Vermächtnis nicht auszuschlagen und den Zusatzpflichtteil als großen Pflichtteil zu fordern, so kann er nicht zusätzlich den tatsächlichen Zugewinnausgleich verlangen. Dies kann der überlebende Ehegatte nur dann, wenn er – wie oben erläutert – die Zuwendung ausschlägt und er den kleinen Pflichtteil geltend macht. Aus der Sicht des den Zusatzpflichtteil fordernden Ehegatten ist jedoch an der Bestimmung des § 2305 BGB besonders nachteilig, dass bei der Wertberechnung Beschwerungen der in § 2306 BGB genannten Art, also insbesondere Beschwerungen durch Vermächtnisse außer Betracht bleiben.
Von Bedeutung ist der große Pflichtteil auch bei der Geltendmachung von Pflichtteilsergänzungsansprüchen nach § 2325 BGB. Auch diese setzen ebenso wie der Zusatzpflichtteil nach § 2305 BGB nicht voraus, dass der Bedachte die Erbschaft oder das Vermächtnis ausschlägt. Bei der Berechnung von Pflichtteilsergänzungsansprüchen eines Erben oder Vermächtnisnehmers ist dann vom großen Pflichtteil auszugehen.
9. Wahlrecht: Güterrechtliche Lösung oder große Pflichtteilsquote
Der Ehegatte der zum gewillkürten Erben bestimmt wurde oder mit einem Vermächtnis bedacht wurde, hat also eine Wahlmöglichkeit, ob er das Zugewendete ausschlägt und dann den kleinen Pflichtteil sowie den konkret zu errechnenden Zugewinn geltend macht oder ob er die Miterbschaft oder das Vermächtnis annimmt und ggf. den großen Pflichtteil als Zusatzpflichtteil oder Pflichtteilsergänzung verlangt. Dies erfordert eine Interessenabwägung. Der überlebende Ehegatte, der eine Zuwendung erhalten hat, sollte also klären, ob der konkrete Zugewinnausgleich und der kleine Pflichtteil wirtschaftlich interessanter sind als die die Beteiligung am Nachlass und ggf. einer Aufstockung auf den großen Pflichtteil. Dabei wird ggf. auch zu berücksichtigen sein, dass mit der Stellung als Miterbe auch eine bessere Position für die Informationsbeschaffung verbunden ist und Verfügungen über den Nachlass grundsätzlich nicht ohne Zustimmung des Miterben möglich sind. Die Stellung als Miterbe hat demnach auch eine strategische Bedeutung, die nicht unterschätzt werden sollte.
Zur Vermeidung von Missverständnissen: Ist der überlebende Ehegatte weder Erbe noch Vermächtnisnehmer, wird er also in der letztwilligen Verfügung des Erblassers gar nicht bedacht, steht ihm auch kein Wahlrecht zu. Dann gilt automatisch die güterrechtliche Lösung. Der überlebende Ehegatte erhält dann also den kleinen Pflichtteil und den konkret zu berechnenden Zugewinnausgleich.