Behindertentestament

Was ist ein Behindertentestament?

Ein Behindertentestament ist eine spezielle Form eines Testaments, bei dem mindestens ein Erbe mit einer Behinderung berücksichtigt wird. Dieses Testament wird verhindert, dass das Familienvermögen dem Sozialhilfeträger zufällt und stattdessen innerhalb der Familie bleibt. Das Hauptziel eines Behindertentestaments daher insbesondere, dass das finanzielle Wohl des behinderten Kindes zu gewährleisten.

 

Wie sieht die erbrechtliche Situation ohne ein Behindertentestament aus?

Ein Angehöriger mit einer Behinderung kann als Erblasser, sofern keine spezifischen testamentarischen Anordnungen getroffen wurden, gewisse Nachteile erfahren. Wenn die Eltern des behinderten Kindes kein wirksames Testament oder Erbvertrag erstellt haben, greift die gesetzliche Erbfolge.

 

Wenn es im Falle eines Todes ohne Testament mehrere gesetzliche Erben gibt, einschließlich eines behinderten Angehörigen mit gesetzlichem Erbanspruch, bilden sie eine Erbengemeinschaft. Diese Erben müssen gemeinsam entscheiden, wie der Nachlass aufgeteilt wird – eine Aufgabe, bei der ein behinderter oder pflegebedürftiger Angehöriger möglicherweise Schwierigkeiten hat, sich in dieser Gruppe zu behaupten.

 

Es ist wichtig anzumerken, dass aufgrund der Behinderung oft hohe Kosten für Betreuung oder Heimunterbringung entstehen. Da diese Ausgaben normalerweise nicht durch Renten oder ähnliche Einkommen abgedeckt werden, übernimmt der Staat die anfallenden Kosten. Bei der Gewährung von Sozialleistungen gilt jedoch der Grundsatz der Nachrangigkeit. Das bedeutet, dass Sozialleistungsempfänger zuerst ihr eigenes Vermögen für die anfallenden Kosten verwenden müssen. Wenn eine Person mit Behinderung nun Geld oder andere Nachlassgegenstände erbt, muss sie diese einsetzen. Anders ausgedrückt, würde das geerbte Vermögen direkt an den Staat gehen, was den Erben benachteiligen würde.

 

Darüber hinaus ist zu beachten, dass die Enterbung des behinderten Kindes nicht ratsam ist. Die Enterbung würde dazu führen, dass das Kind dennoch pflichtteilberechtigt ist. Der Sozialhilfeträger kann während des Bezugs der Leistungen diesen Pflichtteilsanspruch auf sich überleiten und den Pflichtteil mit den gezahlten Leistungen verrechnen.

 

Ist ein Behindertentestament rechtlich zulässig?

Bei der bewussten Umgehung potenzieller Ansprüche des Sozialstaates ist stets die Frage aufgekommen, ob ein solches Verhalten gegen gute Sitten im Sinne des § 138 BGB verstößt und demnach etwaige Anordnungen nichtig sind.

 

In mehreren Urteilen hat die Rechtsprechung entschieden, dass die Erstellung beziehungsweise die Anordnungen eines Behindertentestaments nicht sittenwidrig sind (BGH, Beschluss v. 24.7.2019 – XII ZB 560/18; OLG Köln, Urteil v. 9.12.2009 – 2 U 46/09). Selbst, wenn die Familie über ein erhebliches Vermögen verfügt und dem Sozialhilfeträger dadurch hohe Summen entgehen, ist aufgrund der dem Schutz des Sozialstaats überwiegende Testierfreiheit, die Sittenwidrigkeit abzulehnen (OLG Hamm, Urteil v. 27.10.2016 – 10 U 13/16).

 

Wie ist ein Behindertentestament aufgebaut?

Um den Zugriff des Sozialhilfeträgers als Gläubiger des Behinderten auf die Erbschaft zu vermeiden, müssen Gestaltungsmittel verwendet werden, um die Erbschaft vor der Vollstreckung durch die Gläubiger zu schützen.

 

Als Instrumente kommen hierfür die Vor- und Nacherbschaft sowie die Testamentsvollstreckung in Betracht. Die § 2115 BGB, § 773 ZPO und 83 Absatz 2 InsO gewährleisten den Schutz des gesamten Nachlasses, der der Nacherbenbindung unterliegt und vor Verwertung durch die Eigengläubiger schützt. Das bedeutet, dass Nachlassgegenstände zwar gepfändet oder beschlagnahmt werden können, jedoch die Auflösung dieser Maßnahmen durch den Eintritt der Nacherbfolge bedingt ist. Während der Nacherbschaft sind jedoch jegliche Verwertungsakte unzulässig.

 

In einem klassischen Behindertentestaments wird der pflegebedürftige Angehörige zum Vorerben eingesetzt und mit einem Erbteil bedacht, der etwas höher als der Pflichtteil ist. Gleichzeitig werden eine oder mehrere Personen zum Nacherben eingesetzt, die zu einem vom Erblasser bestimmten Zeitpunkt, spätestens mit dem Versterben des Vorerbens, das Erbe übertragen wird.

 

Der Erblasser muss zudem für die Lebenszeit des behinderten Angehörigen eine Dauertestamentsvollstreckung anordnen. Dem Testamentsvollstrecker sind per Testament deutliche Anweisungen zu erteilen, wie die Erträge aus dem Nachlass zur Verbesserung der Lebensumstände einzusetzen sind.

 

Neben der oben dargestellten Erblösung gibt es als weitere Gestaltungsmöglichkeit des Testaments die Vermächtnislösung. Dabei wird das behinderte Kind des Erblassers als Vorausvermächtnisnehmer eingesetzt, während andere Nachkommen als Nachvermächtnisnehmer benannt werden. Typischerweise besteht das Vermächtnis aus einem Bruchteil des Gesamtwerts des Nachlasses, bekannt als Quotenvermächtnis, das zumindest dem Pflichtteil des behinderten Erben entspricht. Gleichzeitig wird eine Testamentsvollstreckung zur Verwaltung des vermachten Gegenstands angeordnet, die über den Zeitpunkt des Eintritts des Nachvermächtnisfalls hinausgeht.

 

Diese Anordnung dient dazu, den vermachten Gegenstand gemäß § 2214 vor dem Zugriff der Gläubiger des Vorvermächtnisnehmers zu schützen und gleichzeitig zu verhindern, dass der Sozialhilfeträger darauf zugreifen kann. Im Rahmen eines Behindertentestaments wird der Testamentsvollstrecker gemäß § 2216 Abs. 2 verbindlich angewiesen, dem Vorvermächtnisnehmer bestimmte Nutzungen des vermachten Gegenstands zu gewähren und gegebenenfalls auch Teile des Vermächtnisses zur Verfügung zu stellen.

 

Welche Vor- und Nachteile hat die Vermächtnislösung?

Ein nicht unbeachtlicher Nachteil der Erbschaft liegt darin, dass das behinderte Kind Teil der Erbengemeinschaft wird. Das Ziel dieser Gemeinschaft ist es jedoch sich aufzulösen, da mehrere Erben gemeinsam die Vermögensgegenstände erben und vor dem Hintergrund ihrer jeweiligen Erbteile entscheiden müssen, wie die Verteilung erfolgt.

 

Im Fall eines Behindertentestaments gestaltet sich diese Aufteilung oft besonders komplex, vor allem wenn das behinderte Kind unter gesetzlicher Betreuung steht. Wenn das Kind jedoch lediglich als Vermächtnisnehmer benannt ist, erhält es lediglich einen schuldrechtlichen Anspruch. Der überlebende Ehegatte oder die Geschwister können diesen Anspruch dann einfacher erfüllen im Vergleich zur Abwicklung einer Erbengemeinschaft.

 

Die Nachteile der Vermächtnislösung liegen insbesondere in der ihren oft nachgesagten Unsicherheiten, da nicht ausreichend durch die Rechtsprechung gesichert sei.

 

 

Glossar